Allgemeine Zeitschrift für Philosophie: Karl Marx

• 200 Jahre nach seiner Geburt scheint das Denken von Karl Marx aktueller denn je zu sein: Die gesellschaftliche Debatte über Alternativen zum Kapitalismus wurde durch die Finanzkrisen neu entfacht. Auch das Aufkommen neurechten Denkens und neototalitärer Tendenzen in den westlichen Gesellschaften sowie die Krise der europäischen Sozialdemokratie machen Marx zur Lektüre der Stunde. Neben der Sprengkraft im politischen Denken bleibt Marx für die Philosophie aber vor allem deshalb ein lebendiger Autor, weil er für eine radikale Selbstkorrektur der modernen Philosophie steht. Die Beiträge des Sonderheftes lesen Marx weniger als Philosophen, der uns klare Antworten gibt, sondern als einen Denker, der uns die brennenden Fragen unserer Moderne zu erschließen hilft.

Rezension »Neue Politische Literatur«

• Vorwort der Herausgeber Open Access

• Christian Iber: Revolution als Negation der Negation? Zu Marx’ Hegelrezeption

  Zusammenfassung

  Der Beitrag hat drei Teile. Im ersten Teil wird die Problematik von Marx’ Verwendung des hegelschen Begriffs der ›Negation der Negation‹ für die proletarische Revolution in der Kritik der politischen Ökonomie dargestellt. Der zweite Teil erörtert Marx’ kritische Anknüpfung an Hegels Begriff der ›Negation der Negation‹ im Exkurs zur Kritik der hegelschen Dialektik und Philosophie überhaupt der Ökonomisch-philosophischen Manuskripte (Pariser Manuskripte) von 1844, und zwar in vier Abschnitten:Erstens wird gezeigt, wo Marx an Feuerbachs Position anschließt und worin er über sie hinausgeht. Zweitens wird Marx’ Kritik an Hegels System skizziert, die die Phänomenologie des Geistes, die Wissenschaft der Logik und den Übergang zur Natur und Realphilosophie betrifft. Drittens wird Hegels und Marx’ Verständnis von Negativität, Entäußerung und Entfremdung diskutiert und viertens Marx’ eigene Position umrissen. Der dritte Teil deutet eine zum Mythos der Negation der Negation alternative Deutung der revolutionären Umgestaltung der kapitalistischen Gesellschaft beim späteren Marx an.
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• Steffen Wasko: Wirklichkeit nach Hegel. Marx, Bakunin und die Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Wirklichkeit

  Zusammenfassung

  Trotz ihres späteren sehr konfliktreichen Verhältnisses entwickelten sich die Gesellschaftskritiken des wissenschaftlichen Sozialisten Karl Marx und des Anarchisten Mikhail Bakunin mit einer auffälligen Parallelität. Das Ziel des Aufsatzes ist der Aufweis jener philosophischen Gemeinsamkeiten beider Protagonisten der ArbeiterInnenbewegung in ihrem Frühwerk. Ausgehend von einer Kritik der hegemonialen idealistischen Philosophie in ihren jeweiligen Milieus problematisieren sowohl Bakunin als auch Marx das Verhältnis von Philosophie und Wirklichkeit und finden schließlich in einem reflektierten Praxisbegriff jene Vermittlungsinstanz zwischen Vernunft und Wirklichkeit, welche der Idealismus schuldig blieb. Diese These wird anhand von Bakunins ›Vorwort zu den Gymnasialreden‹ Hegels und Marxens ›Kritik der Hegelschen Staatsphilosophie‹ erörtert.
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• Gérard Bensussan: Politik als Übersetzung. Marx und die Revolution

  Zusammenfassung

  Bei Marx und der Denktradition, die von ihm ausgeht, wird das Politische einer Basis, nämlich der ökonomischen Struktur, zugewiesen, welche seine Inhalte, seinen Platz und seine Funktion bestimmt. In der revolutionären Bewegung aber, in der Sozialdemokratie sowie in der kommunistischen Internationale, ist die Politik eher bestimmend als bestimmt und bezeichnet die Sphäre einer intensiven Aktivität. Unsere Analyse bemüht sich darum, diese contradictio in adjecto zu denken. Sie fängt damit an, die tiefe Kluft zwischen dem marxschen Denken der Revolution als Poesie der Zukunft, als noch nie erhörte Sprache, und dessen klassische politische Analysen der großen Ereignisse des 19.Jahrhunderts zu untersuchen. Der Text vertritt die These, dass Übersetzung und politische Übersetzbarkeit diesen vermeintlichen Widerspruch zu erklären helfen, wodurch die überbauliche Zuweisung der Politik, welche nur die Wiederspiegelung der ökonomischen Struktur wäre, ein Ende gemacht werden könnte.
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• Sebastian Schwenzfeuer: Marx’ Theorie sozialer Freiheit
  

  Zusammenfassung

  Marx’ Theorie sozialer Freiheit beantwortet zwei verschiedene Fragen. Erstens geht es um die Frage nach der Wirklichkeit der Freiheit: In der Differenz zwischen der rechtlichen und der sozialen Dimension der Freiheit wird die marxsche Kritik der bürgerlichen Gesellschaft möglich. Freiheit wird zwar in Form von Menschen- und Bürgerrechten garantiert, verkehrt sich aber in der sozialen Wirklichkeit zur Unfreiheit. Zweitens geht es um die Frage nach der wirklichen Freiheit: In dem die bürgerliche Gesellschaft als Ort der Verkehrung von Freiheit in Unfreiheit erkannt wird, öffnet sich auch die Perspektive auf eine Freiheit ohne Verkehrung. Hierhin gehört die Idee des Kommunismus, der als Form des Zukünftigseins interpretiert wird. Der Kommunismus ist dann wirklich als Revolutionierung der Gegenwart und Eröffnung einer Welt.
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• Oliver Müller: Marx und die Philosophie der Technik
  

  Zusammenfassung

  Vor dem Hintergrund, dass Marx’ Überlegungen zur Technik selten gesondert von seinen ökonomietheoretischen Schriften zur kapitalistischen Produktionsweise untersucht werden, werden in dem Artikel einige Dimensionen seines Denkens herausgearbeitet, die als seine ›Philosophie der Technik‹ gelten können. Dazu werden in einem ersten Schritt diejenigen Passagen in Hegels Werk zu ›Mittel‹ und ›Werkzeug‹ kommentiert, an die Marx in seinen Ausführungen anschließt. Zweitens werden in einer Lektüre von ›DasKapital‹ und des sogenannten ›Maschinenfragments‹ die zentralen Momente von Marx’ Philosophie der Technik dargestellt und diskutiert. In einem dritten Schritt werden einige Linien zu späteren technikphilosophischen Ansätzen gezogen, um insgesamt zu zeigen, dass Marx in beeindruckender Weise bereits zentrale Aspekte des ›Problems‹ der Technik erkannt hatte – seine Technikphilosophie insgesamt aber rudimentär geblieben ist.
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• Christoph Henning: Marx und die Monster des Marktes: Kleine philosophische Bilderkunde
  

  Zusammenfassung

  Dieser Aufsatz umreißt einen selten gesehenen Nebenzweig der marxschen Kritikstrategie: Den Rückgriff auf sprachliche Bilder als Medien der Kritik. Dieser Kritikmodus hat bei Marx eine systematische Grundlage, die auf seine Analyse des Kapitalismus zurückgeht: Der Kapitalismus beruht auf zahlreichen, Doppelstrukturen und produziert widersprüchliche Effekte, etwa Reichtum und Armut, Innovation und Zerstörung. Zugleich jedoch produziert er eine geschönte Sichtbarkeit seiner positiven Aspekte und verdeckt damit die negativen. Marx’ Theorie hilft, die negativen Seiten mit zu berücksichtigen, muss aber gegen die geschönte, Selbstgegebenheit des Kapitalismus ankämpfen. Als Nebengleis seiner Kritik verlegt sich Marx daher auch auf 'Gegenbilder, die umgehend die negativen Seiten verdeutlichen und dabei die Komplexität des Gegenstandes gerade nicht unterschreiten, da die Bilder selbst ›Doppelstrukturen‹ aufweisen. Dies wird an zwei Beispielen erläutert: dem Vampir und dem Werwolf. In einem zweiten Schritt wird gezeigt, wie ein weiteres Motiv (das ›automatische Subjekt‹) in der Filmgeschichte bis heute weiterwirkt und damit eine Dimension der marxschen Kritik an der häufig recht zahmen Sozialphilosophie vorbei wachgehalten hat.