Ferdinand Christian Baur

evangelischer Theologe, * 21.6.1792 Schmiden bei Stuttgart, † 2.12.1860 Tübingen.

Genealogie

V Christian Jakob Baur (1755–1817), Dekan in Blaubeuren; M Eberhardine Regine Groß; Gvv Christian Valentin Baur (1713–96), Chirurg; Gmv Marie Dorothea, verwitwete Rupfen (1719–68); ⚭ Stuttgart 30.4.1821 Emilie (1802–39), T des Gottlob Benjamin Becher, Hofarzt in Stuttgart, und der Friederike Caroline Gaupp; 2 S, 3 T, u. a. Emilie Caroline (1823–1904, ⚭ 1847 Professor Th. Zeller in Bern).

Leben

B. studierte 1809-14 in Tübingen, neben der Theologie besonders Platon, Fichte, Schelling, nicht ebenso Kant. Er war dann Vikar auf dem Lande, Hilfslehrer in Schöntal, Repetent in Tübingen und 1817-26 Professor in Blaubeuren. Hier wurde er genauer vertraut mit antiker Geistes- und vor allem Religionsgeschichte; sein Lehrmeister war B. G. Niebuhr. Von der supranaturalistischen Denkweise der älteren Tübinger Theologenschule durch Schleiermachers Glaubenslehre losgekommen, wie seine »Symbolik und Mythologie oder die Naturreligion des Altertums« (1824) zeigt, wurde er 1826 Professor in Tübingen. Von Schleiermacher unterschied ihn einerseits stärkeres Interesse für außerchristliche Religionsgeschichte, andererseits, daß er Religion und Philosophie nicht so wie Schleiermacher auseinanderhalten wollte. So hat er Schleiermachers Theologie mehr von dessen Philosophie her gedeutet, als diesem richtig schien. Bald gewann er einen festen philosophischen Standpunkt. Auf seines katholischen Kollegen J. A. Möhler rasch berühmt gewordene »Symbolik« hatte B. 1834 mit dem »Gegensatz des Katholizismus und des Protestantismus« geantwortet; die 2. Auflage (1836) zeigt starke Einwirkungen Hegels, wie schon die »Gnosis oder die christliche Religionsphilosophie in ihrer geschichtlichen Entwicklung.« »Ohne Philosophie bleibt mir die Geschichte ewig tot und stumm«, sagte er. Besonders Hegels Schema von Satz, Gegensatz und Vermittlung wendete B. nun auf die Anfangsgeschichte des Christentums an. Der judenchristlichen Urgemeinde habe sich Paulus mit seinem gesetzesfreien Evangelium scharf entgegengestellt; erst allmählich sei es zum Ausgleich gekommen. Geschichtlicher Ort und Tendenz jeder neutestamentlichen Schrift werden nach ihrer Stelle in dieser Entwicklung bestimmt. Von den Schriften des Paulus hielt B. für echt nur die vier großen Briefe (Römer, beide Korinther, Galater); das Johannesevangelium aber rückte er als Erzeugnis eines späteren versöhnenden Geistes weit ins 2. Jahrhunderts hinein. Es sei keine Geschichtsquelle, was die drei ersten Evangelien immerhin seien. Nur ist das Bild Jesu bei B., sofern er die schlichten, religiös-sittlichen Grundgedanken Jesu hervorhebt, doch dem der Aufklärer verwandter als das derjenigen Schüler Hegels, die dessen Lehren zur Neubegründung des Dogmas von Christus verwenden wollten. Nachdem er zunächst mit dogmengeschichtlichen Arbeiten beschäftigt gewesen war (Die christliche Lehre von der Versöhnung, 1838; Die christliche Lehre von der Dreieinigkeit und Menschwerdung Gottes, 1841–43), denen 1847 das Lehrbuch der Dogmengeschichte folgte, erschienen nun seine kritischen Werke über das Urchristentum: Komposition und Charakter des Johannes-Evangeliums (1844), Paulus (1845), Untersuchungen über die kanonischen Evangelien (1847). Um ihn sammelte sich eine (jüngere) Tübinger Schule, von deren Gliedern einige - wie E. Zeller und F. Th. Vischer - freilich nicht bei der Theologie geblieben sind. A. Ritschl gehörte nur anfangs zu B.s Schule. Wie K. Freiherr von Altensteins Gedanke, B. zum Nachfolger Schleiermachers zu machen, unausgeführt blieb, so ließ später die Ungunst der preußischen Unterrichtsverwaltung Theologen aus seiner Schule nicht auf preußische Lehrstühle; infolgedessen entwickelte sich die kritische Erforschung des Urchristentums um die Mitte des 19. Jahrhunderts überwiegend im außerpreußischen Deutschland. B. selbst blieb stiller Gelehrter, kirchenpolitischen Kämpfen fern. Seine letzte Zeit gehörte kirchengeschichtlichen Werken: Die Epochen der kirchlichen Geschichtsschreibung (1852), Christentum und christliche Kirche der ersten drei Jahrhunderte (1853, vier weitere Bände, davon zwei aus B.s Nachlaß, ergänzten das Buch zu einer vollständigen Kirchengeschichte). Hier läßt B., immer reichlich um die Tatsachen bemüht, die Hegelschen Begriffe mehr zurücktreten, ebenso in den gleichfalls aus dem Nachlaß herausgegebenen Vorlesungen über die neutestamentliche Theologie (1864) und über Dogmengeschichte (1865–67). In einer Zeit, da die Kirche sich festigte und viele zu strengem, wörtlichem Bibelglauben zurücklenkten, hat B. durch den Wert seiner Arbeiten das Recht kritischer Bibelforschung stärker gesichert, als es das kühne, aber vereinzelte Werk seines Schülers D. F. Strauß, »Das Leben Jesu« (1835), vermochte. Erwies sich B.s Auffassung von der Entwicklung des ältesten Christentums als zu sehr von Hegelschen Begriffen bestimmt, so hat doch sein Nachfolger in Tübingen, der ursprünglich anders gerichtete C. Weizsäcker, und die gesamte weitere neutestamentliche Arbeit von ihm gelernt. Ebenso bleibt für die Kirchengeschichte seine Verbindung von Ideenreichtum und gewissenhafter Einzelforschung bedeutsam. Wie verläßlich seine Untersuchungen waren, dafür nur ein Beispiel: sein »Manichäisches Religionssystem« (1831), das auch den Zusammenhang mit dem Buddhismus ins Auge faßt, hat eine zweite Auflage noch 1928 erlebt.

Werke von oder mit Ferdinand Christian Baur:

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