Sebastian Brant

Dichter und Publizist, * 1458 Straßburg, † 10.5.1521 Straßburg.

Genealogie

V Diebolt (1419–68), Gastwirt der »Großen Herberge zum goldenen Löwen« in Straßburg, 1440-61 Ratsherr, S des Diebolt Brant, genannt Spyrer (Speyer), achtmal Mitglied des Großen Rates in Straßburg, und der Marg. Stollhof; M Barb. Ricker (Picker ?, † 1506); ⚭ Basel 1485 Elisabeth, T des Messerschmiedezunftmeisters Heinrich Bürgi(s) in Basel und der Anna Schinagel aus Hall; 7 K, u. a. Onophrius Brant, Jurist, Mitglied des Großen Rates, Verfasser von Gelegenheitsgedichten, Magd. (⚭ Peter Butz, Stadtschreiber von Straßburg).

Leben

Im Herbst 1475 wurde B. an der Universität Basel immatrikuliert, 1477 Baccalaureus Artium, 1480 wahrscheinlich Baccalaureus iuris, 1483 (1484?) Lizentiat und Dozent, 1489 Doktor beider Rechte, 1492 Dekan der Juristischen Fakultät; 1496 erhielt er eine besoldete Professorenstelle. Als Basel 1499 der Schweizer Eidgenossenschaft beitrat und damit faktisch aus dem Deutschen Reich ausschied, gab der kaisertreue B. sein Lehramt auf und wurde am 17.8.1500 Rechtskonsulent seiner Vaterstadt Straßburg, 1503 Stadtschreiber (als solcher nannte er sich »[Erz-] Kanzler«). Kaiser Maximilian belohnte seine Anhänglichkeit durch Ernennung zum kaiserlichen Rat (1502), zum Comes Palatinus mit Jahrgehalt und zum Beisitzer des kaiserlichen Hofgerichts in Speyer. Außer seiner juristischen Verwaltungstätigkeit führte B. eine Neuordnung des Stadtarchivs durch, begründete das Armenpflegewesen und betätigte sich erfolgreich als Führer von Gesandtschaften seiner Stadt zum Kaiser u. a. Fürstenhöfen.

B.s schriftstellerische Tätigkeit wurde vom Geist der jungen Universität Basel bestimmt, wo Johannes Heynlin vom Stein (De Lapide) 1464-66 eine Synthese von Humanismus und Scholastik verfochten und die Zulassung der realistischen Richtung (neben der nominalistischen) innerhalb der Artistenfakultät (Spaltung in einen »alten« und einen »neuen« Weg) durchgesetzt hatte. Heynlin verließ 1474 erneut Paris und sammelte als Prediger in Basel einen Kreis, der zwar den revolutionären, ästhetischen Humanismus ablehnte, aber das scholastische Weltbild, dominikanische Betonung der Willenskräfte und lebendige kirchliche Devotion mit der humanistischen Durchformung des Individuums und philologischem Geiste zu vereinen suchte. So entstand jener, die Schwächen der Kirchen bekämpfende, aber auf Erhaltung der Kirche und der alten Ordnung bedachte, moralisierende Humanismus, der in Geiler von Kaisersberg, Wimpfeling, B. und den großen Baseler Verlegern einen Rückhalt fand.

B. betätigte sich schon früh als Korrektor Baseler Offizinen und als Herausgeber von juristischen Quellensammlungen, sowie als Verfasser von Widmungsgedichten an Reuchlin u. a. Humanisten. Seine juristischen Publikationen zeigen ihn nicht als einen Neuerer, sondern als Popularisator des römischen Rechtes, zunächst durch ein einführendes Lehrbuch »Expositiones omnium titulorum juris civilis et canonici« (1490), das aus seinem Vorlesungsskriptum erwuchs und als bequemes Hilfsmittel für den Unterricht bis 1518 12 Auflagen erlebte. Der Popularisierung des römischen Rechts dienten auch die von B. herausgegebenen volkstümlichen Rechtssammlungen »Layenspiegel« (Augsburg 1509) und »Klagspiegel« (Straßburg 1516). Auf religiösem Gebiet betätigte sich B. im altkirchlichen Geiste: er übersetzte lateinische Sequenzen wörtlich ins Deutsche und verfaßte lateinische Gedichte auf Maria, Sebastian, Onofrius, Ivo u. a. Heilige (Carmina in laudem beatae Mariae, ca. 1494). Seine Verse zur Verteidigung der unbefleckten Empfängnis Mariä lehnen sich eng an F. von Retz’ »Defensorium immaculatae virginitatis beatae Mariä« an. Auch im Jetzerhandel trat er mit mehreren Streitschriften gegen die Makulisten (d. h. die Gegner der unbefleckten Empfängnis) auf.

Bedeutsamer ist B.s publizistische Tätigkeit auf politischem Gebiet. In zahlreichen Gedichten, teilweise an auffällige Naturerscheinungen anknüpfend und als illustriertes Flugblatt verbreitet, ermunterte B. Kaiser Maximilian zu einer strafferen Zusammenfassung des Reiches, zu einer Reform der Kirche und zum Kampf gegen die Expansion der Franzosen und Türken (Varia Carmina, Basel 1498). In seiner Schrift »De origine et conversatione bonorum regum« (ebenda 1495) wirbt er für eine Wiedereroberung Jerusalems. B.s moralische Dichtung besteht überwiegend aus Bearbeitungen älterer Werke, einer Tischzucht (Thesmophagia, ebenda 1490), des Facetus (ebenda 1496.), der Sittensprüche des Cato (ebenda 1498), des Moretus (ebenda 1499) und der Bescheidenheit Freidanks (Straßburg 1508). Seinen eigentlichen Ruhm verdankt B. jedoch seinem »Narrenschiff« (Basel 1494), das von Geiler von Kaisersberg als Grundlage für einen Predigtzyklus benutzt, in viele Sprachen übersetzt wurde (zuerst durch B.s Schüler Jacob Locher ins Lateinische, ebenda 1497) und eine große literarische Nachwirkung hatte. Es ist eine gelehrte Ausweitung volkstümlicher satirischer Narrenbilderbogen zu einem moralischen Gedichtbuch und zugleich eine humanistische Umbiegung der mittelalterlichen Ständesatire zu einer Lächerlichmachung menschlicher Untugenden. Dahinter liegt der optimistisch-rationalistische Gedanke, daß Sünde und Untugend nur Unwissenheit und Narrheit sind, die durch rechte Belehrung überwunden und ausgetilgt werden können. Das Bild des Narrenschiffes ist dem Fastnachtsbrauch entnommen, wo die bösen Dämonen des Winters im Frühling so wegtransportiert werden wie hier die menschlichen Narrheiten. Die große Wirkung des mit Sprichwörtern, Sentenzen, Zitaten aus antiken Schriftstellern und der Bibel zusammengesetzten Werkes beruht einerseits darauf, daß die in volkstümlicher Sprache gebotenen Lehren und der dahinter stehende Besserungsoptimismus dem bürgerlichen Zeitgeist entsprachen, andererseits in der volkstümlichen Verbindung der Verse mit ausgezeichnet ausgeführten Holzschnitten, die einer naiven Schaufreude entgegenkamen. Die ältere Meinung, B. habe die Holzschnitte selbst entworfen, ist undiskutabel; die Zuweisung an den jungen Dürer gewinnt immer mehr an Boden. Meist wird nur das Motto oder ein aus dem Text herausgegriffener Satz wortwörtlich und sehr äußerlich ins Bildliche umgesetzt. Da eine Reihe Holzschnitte auf Mißverständnis des Textes beruhen (2, 5, 9, 25, 35, 41, 72), andere (27, 53) unverständlich sind, andere wiederum mehrfach verwandt, so ist das bisherige Urteil von der völligen Übereinstimmung von Bild und Text stark einzuschränken. Die Bilder regen die Schaulust an und locken zur Enträtselung des selten auf der Hand liegenden Sinnes. Die Bedeutung von B.s Narrenschiff liegt in der populären, die Stunde des illustrierten Volksbuches nutzenden Verbreitung humanistisch-rationalistischer Ideen. Es ist eine Art mittelalterliche Zeitklage, aber im optimistischen Glauben an die bessernde Macht der Belehrung geschrieben. Hier wie überall zeigt sich B.s vom Frühhumanismus befruchteter, aber im Grunde konservativer Geist und sein Sinn für Popularisierung, der der weltoffenen Sphäre seines Elternhauses die Impulse seiner Publizistik entnahm.

Werke von oder mit Sebastian Brant:


edition

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Sebastian Brant: Kleine Texte

Kritische Edition.

Eingeleitet und herausgegeben von Thomas Wilhelmi.
AuE 3
1998
3 Bände
855 S., 18 Abb.
Leinen
ISBN 978-3-7728-1924-7
Lieferbar
€ 246,–

Umschlagfoto

Sebastian Brant: Fabeln

Herausgegeben von Bernd Schneider.
AuE 4
1999
454 S., 141 Abb.
Leinen
ISBN 978-3-7728-1877-6
Lieferbar
€ 198,–
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