Nicolaus Taurellus

Nicolaus Taurellus, ein als Mediciner angesehener, als Philosoph hervorragender Gelehrter, ist am 26. November 1547 in der damals württembergischen Stadt Mömpelgard geboren, wo sein Vater Stadtschreiber war. […] Die Familie war protestantisch.

Da der Vater in bescheidenen Verhältnissen lebte, hätte Nicolaus schwerlich einen gelehrten Beruf wählen können, wenn ihm nicht eine von dem Grafen Georg von Mömpelgard zu solchen Zwecken gestiftete Summe zu Gute gekommen wäre. So war es ihm möglich, 6 Jahre in Tübingen zu studiren, wo ihm auch vom Herzog Christoph von Württemberg häufig Unterstützungen zugingen. Er wandte sich zuerst der Theologie und Philosophie zu. Der damals berühmte Jacob Schegk (s. A. D. B. V, 21) weihte ihn in die Lehre des Aristoteles ein; bei Samuel Heilandus hörte er Ethik. 1565 wurde er Magister der Philosophie. Doch entschloß er sich einige Zeit darauf, »certis de causis« zur Medicin überzugehen. […]

1570 wurde T. zu Basel Doctor der Medicin. Ein Jahr später begannen Verhandlungen, die seine Anstellung als Leibarzt bei dem Prinzen Friedrich von Württemberg zum Ziele hatten, sich aber infolge der Einsprache schwäbischer Theologen zum großen und dauernden Kummer des T. zerschlugen […]. Nachdem dieser Plan gescheitert war, ließ er sich — wahrscheinlich 1572 — in Basel als Docent der Medicin nieder. Er heirathete hier vor 1578 Katharina, die Tochter des Stadtschreibers Israel Aeschenberger und der Anna, geb. Keller, die sich als Verfasserin eines Kochbuchs für Kranke bekannt machte und später als Wittwe bis zu ihrem Tode (1596) bei der Tochter lebte. Der Ehe entsprangen 13 Kinder, von denen aber schon 1591 8 (nicht 7, wie es bei Schmid-Schwarzenberg heißt) gestorben waren. Von dem Schicksal der andern, zweier Söhne und dreier Töchter, ist nur wenig bekánnt.

Während seines Aufenthaltes in Basel hatte T. unter materiellen Sorgen viel zu leiden. Auf ein öffentliches Amt hatte er wenig Aussicht, und der Versuch, eine 1579 frei gewordene Lehrstelle in Straßburg zu erhalten, mißlang. Dazu kamen die vielfachen Anfeindungen, die er seit der Veröffentlichung seines ersten größeren philosophischen Werkes, des ›Philosophiae Triumphus‹ (1573) zu bestehen hatte. Diese Anfeindungen lassen sich leicht begreifen. Zwar hatte Luther zuerst die ganze scholastische Philosophie und den Aristoteles verworfen; aber schon Melanchthon, der eine ungelchrte Theologie als eine wahre »ilias malorum« bezeichnete, hatte ausgesprochen, man könne den Aristoteles einfach nicht entbehren, so daß sehr bald die Verehrung des »Augapfels« Aristoteles und damit auch die Theorie von der zweifachen Wahrheit unter den protestantischen Theologen vorherrschte. Und nun kam T., nicht geschreckt durch das Schicksal des nur ein Jahr vorher ermordeten Ramus, mit einem kühnen Angriff gegen die duplex veritas und gegen den blinden Autoritätsglauben, den er als ein Brandmal der Philosophie bezeichnete. Er selbst sah voraus, daß dieses Buch, in dem er es z. B. aussprach, daß die aristotelische Lehre von der Ewigkeit der Welt trotz der Autorität des Aristoteles nicht weniger falsch sei, als wenn sie Thersites oder irgend ein anderer Erzlügner aufgestellt hätte, den Meisten als der Ausdruck einer knabenhaften Keckheit erscheinen werde. Und in der That fiel man von allen Seiten über ihn her. Die Theologen waren ebenso unzufrieden wie die Philosophen. Man verspottete den Titel und den schlechten Stil; man bestritt Stellen, die man gar nicht verstanden hatte und überhäufte den Verfasser mit Schmähungen und Verleumdungen. T. zog es nach solchen Erfahrungen vor, sich längere Zeit auf sein Lehrfach, die Medicin, zu beschränken. — In seinen äußeren Verhältnissen trat noch in Basel dadurch eine kleine Besserung ein, daß er dort etwa 1576 als Nachfolger Theodor Zwinger’s Professor der Ethik wurde. Aber innere Befriedigung wurde ihm erst zu theil, als er 1580 zum Professor der Medicin in Altdorf ernannt wurde, wo er bald eine geachtete Stellung einnahm und seines Lehramtes mit großem Erfolg waltete. 1581 gab er ein größeres medicinisches Werk heraus, ›Medicae Praedictionis Methodus‹; in dem Vorwort macht er seinem Groll über die ungerechten Angriffe Luft und nennt die Anhänger der duplex veritas vom Satan verführte Thoren, die Christus und Belial in Einem Geiste verknüpfen. 1585 erschien sein ›Commentarius in quosdam libros Arnoldi de Villanova‹, 1586 die erste philosophische Schrift nach dem ›Philosophiae Triumphus‹, ›De Vita et Morte Libellus‹, aus deren Aufnahme er sehen wollte, was er von weiteren philosophischen Veröffentlichungen zu erwarten habe. 1592 und 1595 gab er zwei Bändchen Gedichte heraus, die ›Emblemata Physico-Ethica‹ und die ›Carmina funebria‹. Endlich 1596, 23 Jahre nach der ersten Hauptschrift, trat er wieder mit einem wichtigen philosophischen Werk vor die Welt, der ›Synopsis Aristotelis Metaphysices ad normam christianae religionis emendatae et completae‹. Wie es schon der Titel verräth, hält T. hier an seinem alten Standpunkte fest, wonach auch Aristoteles, dessen Größe er übrigens vollständig anerkennt, der Kritik unterliegt und in wesentlichen Punkten verbesserungsfähig ist. In kaum einer anderen Schrift haben die eigenen Ansichten des T. einen so klaren und wirksamen Ausdruck gefunden wie hier. Sätze wie: »praestantius est esse quam contemplari« oder »Deus conservat, quando non corrumpit« erinnern in ihrer prägnanten Kürze an Spinoza.

Nachdem so T. sein eigentliches Lebenswerk mit jugendlichem Feuer wieder ergriffen hatte, drängte es ihn zu weiterem Schaffen. Schon 1597 erschien seine große Streitschrift gegen Caesalpin’s ›Quaestiones Peripateticae‹, die ›Alpes Caesae‹ (Wortspiel). Gegenüber dem Pantheismus Caesalpin’s, der in Deutschland Einfluß gewonnen hatte und auch in Altdorf selbst durch Scherbius vertreten war, ruft T. aus, der echte Aristoteles sei ihm immer noch tausendmal lieber, als solche fälschlich als aristotelisch ausgegebenen Irrlehren. Für Caesalpin ist Gott nicht die causa efficiens, sondern die causa constituens der Welt; Gott ist die allgemeine Weltseele, und der Mensch erkennt nur dadurch, daß Gott in ihm sich selbst erkennt (Spinoza!). Aber, erwidert T., wenn so alles Geistige in der Einen Weltseele besteht, wie kommt es, daß Johannes nicht weiß, was Paulus denkt? Und wo ist, fragt er ähnlich wie E. Du Bois Reymond Fechner gegenüber, das Herz und das Gehirn, in dem diese Weltseele wohnt?

[…]1603 veröffentlichte er die ›Kosmologia‹ (De Mundo), in der er sich mit Piccolomini auseinandersetzte. Er vergleicht hier die »Maschine dieser Welt«, die einen so wunderbaren »mutuus consensus« ihrer Theile zeigt, mit einem zweckmäßig eingerichteten Uhrwerk, so daß man vielleicht hier ebenso wie bei Descartes von einem ersten Keim des (Geulincx-) Leibniz’schen Uhrengleichnisses sprechen kann (Leibniz war mit den Werken des T. sehr vertraut und rühmte ihn als einen deutschen Scaliger). Im gleichen Jahre erschien die ›Uranologia‹, der 1604 das letzte Hauptwerk ›De rerum aeternitate‹ folgte, in dem er mit berechtigtem Stolz bekennt, Schegk habe die Kühnheit seines ersten Werkes mit dem jugendlichen Feuer entschuldigt, aber er sei durch das Alter weder kühler noch furchtsamer geworden. Und in der That: wie er als Jüngling den Plan gefaßt hatte, das Wissen mit dem Glauben zu versöhnen, so ruft er am Schluß seines letzten Hauptwerkes aus: »Wenn Millionen von Gründen zur Gewinnung des Heils gewonnen werden könnten, so gäbe es doch keinen, der mit der wahren Philosophie mehr übereinstimmen könnte, als die christliche Religion«.

1606 wüthete in Altdorf die Pest. Eine der Mägde des T. erkrankte; er floh zuerst, kehrte dann zurück, wurde von der furchtbaren Krankheit ergriffen und starb am 28. Sept. 1606. Wegen der Ansteckungsgefahr wurde er am gleichen Tage begraben.[…]

Werke von oder mit Nicolaus Taurellus:


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Nicolaus Taurellus: Philosophiae Triumphus

Edited, translated and introduced by Henrik Wels.
EFN 3
2012
XLVI, 596 p., 1 ill.
Cloth-bound
ISBN 978-3-7728-2374-9
Available
€ 265.–
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