Christian Wolff

Christian Wolff, Philosoph und Mathematiker,
geboren am 24. Januar 1679 in Breslau als Sohn eines Gerbers,
† am 9. April 1754 in Halle a. S. als Geheimer Rath, Kanzler und Professor der Friedrichs-Universität.

[S]elbst sein Eifer für die Mathematik, den er übrigens durch privaten Fleiß befriedigen mußte, ging aus dem Streben hervor, für die Theologie eine untrügliche Methode zu gewinnen, welche geeignet wäre, die Glaubenssätze zu beweisen und somit den dogmatischen Streitigkeiten ein Ende zu machen. So erklärt sich, daß W. 1699 nach Jena ging, um Hamberger über Mathematik und Physik zu hören, ebenso daß er dort für die Theologie wenig zu thun fand, obschon er seinen Lehrer Treuner mit Anerkennung nennt. […] Nach Leipzig ging W. 1702 zunächst zur Magisterprüfung, dann nach abermaligem einjährigen Jenenser Aufenthalt zur Habilitation auf Grund seiner Abhandlung ›de philosophia practica universali methodo mathematica conscripta‹, die ihm nicht nur die Mitarbeit an Mencke’s acta eruditorum, sondern auch den Beifall Leibnizens eintrug, dem seit 1704 ein für ihn äußerst förderlicher Briefwechsel folgte.

[…] Er predigte öfter, zuletzt 1706 in Leipzig und wurde gern gehört; ja noch 1709 äußerte er brieflich den Wunsch. Professor der Theologie in Helmstedt zu werden, wohin sein Blick durch die frühere Bekanntschaft mit dem dortigen Abt Schmidt gelenkt war. […] Einen Ruf an das akademische Gymnasium zu Danzig1704 lehnte er ab. Dagegen war er gern bereit, dem Anerbieten einer Professur in Gießen zu folgen, zumal Leipzig durch den schwedischen Krieg beunruhigt wurde. Als er indeß vor Abschluß der Berufung auf der Heimreise Halle berührte, wurde ihm von Hoffmann und Stryck zugeredet, an dieser Universität als Lehrer der seit dem Tode Jakob Spener’s und dem Fortgange Ostrowski’s nicht vertretenen Mathematik zu bleiben. […] Wolff’s schöpferische Schriften fallen sämmtlich in diesen ersten Abschnitt seiner Hallenser Wirksamkeit; neben kleineren mathematischen und physikalischen Abhandlungen (vgl. das Verzeichniß seiner Werke im Anhange der historischen Lobschrift von Gottsched) erschienen 1709 ›Aerometriae elementa‹, 1710 die oft wieder aufgelegten ›Anfangsgründe aller mathematischen Wissenschaften‹ in vier Theilen, 1712 die Logik unter dem Titel ›Vernünftige Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes‹ (2. Aufl. 1719), 1713 der erste Theil seiner ausführlichen ›Elementa matheseos‹, 1716 das ›mathematische Lexikon‹ und dann in rascher Folge 1718 die besonders wichtige ›Ratio praelectionum Wolfianarum in mathesin et philosophiam universam‹, die einen ausgeführten Plan und die Methode seiner Vorlesungen liefert, 1720 die Metaphysik als ›Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt‹, und die Sittenlehre als ›Vernünftige Gedanken von der Menschen Thun und Lassen‹, 1721 die Staatslehre als ›Bernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben des Menschen, insonderheit dem gemeinen Wesen‹, endlich 1723 kurz vor seinem Fortgange die ›Vernünftigen Gedanken von den Wirkungen der Natur‹, welche nicht sowol eine Naturphilosophie als eine Kosmographie nach dem damaligen Stande der Kenntnisse mit anerkennenswerther Belesenheit darstellen.

Mit seinen Werken wuchs sein Ruhm; 1715 erhielt er einen Ruf nach Wittenberg, dessen Ablehnung ihm den Hofrathstitel und eine geringe Gehaltsverbesserung einbrachte, in demselben Jahre nach Petersburg, was er ohne das dringende Abrathen Leibnizens wol angenommen hätte. Dieser Ruf wiederholte sich 1720 und auch nach Peter’s Tode wünschte ihn die Kaiserin Katharina 1725 als Vicepräses der Akademie mit einem Gehalte von 2000 Thlrn. zu gewinnen; ja sie verlieh ihm trotz seiner Ablehnung den Titel eines Professors und ein Jahresgehalt von 300 Thlrn., das er bis zu seinem Tode bezog. […] Den Hauptanstoß erregte aber seine Lehre bei den Theologen, welche deshalb eifrig nach einem Anlaß spürten seiner Wirksamkeit Schranken zu setzen. Sie witterten in ihm den Deterministen und den Rationalisten, d. h. den Leugner der menschlichen Willensfreiheit und der eingreifenden göttlichen Gnade und des Wunders. Ihrem Angriffe fehlten weder die Vorbereitungen noch auch aufreizende Begleiterscheinungen. […] Als dann W. in seiner Rede ›de Sinarum philosophia practica‹ bei Uebergabe des Prorectorats die Sittenlehre des Confutse seiner eigenen ziemlich gleich stellte und hieraus schloß, daß unbeschadet anderer göttlicher Gnadenwirkungen man auch ohne Offenbarung zu einer menschlichen Glückseligkeit gelangen könne, — übrigens ein Satz, den er ähnlich schon in seiner ratio praelectionum und seiner Gesellschaftslehre vorgebracht hatte, — da glaubten die entrüsteten Theologen nicht länger zögern zu dürfen. […] So wurde denn W. zunächst zur Beantwortung aufgefordert und die Hofprediger mit der Untersuchung befaßt. Bei der milden Denkweise dieser Männer, unter denen Reinbeck geradezu ein Anhänger Wolff’s war, und bei der Gunst, in der W. bei Hofe stand, war für ihn eine günstige Entscheidung zu erwarten. Lange hatte dies schon früher befürchtet und deshalb den eingeschlagenen Beschwerdeweg widerrathen. Allein in dem Könige selbst trat ein plötzlicher Sinneswechsel ein, als ihm durch die Generale v. Löben und v. Natzmer, Freunde des Hallischen Pietismus, vorgestellt wurde, daß der Wolff’sche Determinismus auch jeden Soldaten, welcher der Vorherbestimmung zufolge fortlaufe, straffrei mache. Der erzürnte Herrscher verfügte unmittelbar und ohne Anhörung der Minister am 8. Nov. 1723, daß W. seines Amts sofort zu entsetzen sei und binnen achtundvierzig Stunden bei Strafe des Stranges die königlichen Länder zu räumen habe. […] [D]ie Sache war zu Ende und noch 1727 verbot ein königlicher Befehl den Gebrauch der Wolff’schen Schriften bei Karrenstrafe.

[…] W. selbst verhielt sich würdig; ohne ein lautes Wort des Unmuthes über die königliche Ungnade, welche er sofort als das Werk seiner Feinde erkannte, ging er sogleich nach Merseburg und nahm von dort aus den Ruf nach Marburg an, den er schon im Juni d. J. von dem Landgrafen von Hessen-Kassel erhalten hatte. Und da sein dortiges Gehalt von 700 Thlrn. und reichlichen Naturallieferungen das bisherige um mehr als das doppelte überstieg, so erlitt er keine Einbuße, zumal seine Bedeutung wie sein Geschick große Schülermassen nach Marburg zogen. Für die Verbreitung seiner Lehre erwies sich der Wechsel sehr gegen die Absicht seiner kurzsichtigen Feinde äußerst vortheilhaft. Jetzt erst wurde die Welt auf ihn aufmerksam: ausländische Gelehrte traten mit ihm in Verbindung, selbst Jesuiten fanden sich durch sein System befriedigt. […]

Wolff’s mündlicher Vortrag wird als faßlich und lehrreich, als ungezwungen und natürlich gelobt; in seinen systematischen Werken vertauschte er die deutsche mit der lateinischen Sprache, weil er jetzt nicht nur auf Deutschland, sondern auf das gebildete Europa wirken wolle. […] Und ganz im Gegensatz zu seinen früheren Angebern waren in unmittelbarer Nähe des Königs die einflußreichen Generale v. Grumbkow und Leopold von Dessau, auch der schon genannte Hofprediger Reinbeck zu seinen Gunsten thätig. So erklärt sich, daß der König allmählich in Erkenntniß seiner Uebereilung und des der Universität Halle zugefügten Schadens W. wiederzugewinnen trachtete.[…] So wurde denn W. am 10. September 1740 als Geheimer Rath und Vicekanzler mit einem Gehalt von 2000 Thlrn. nach Halle zurückberufen und hielt daselbst am 6. December seinen feierlichen Einzug. Mit Lange fand eine persönliche Aussöhnung statt und da W. trotz seines Vicecancellariats dem Universitätsdirector Böhmer den Vorrang einräumte, so waltete Friede innerhalb der Universität. Nach dem Tode des Kanzlers J. P. Ludewig rückte W. in dessen Stelle; indeß war dies wesentlich nur ein Ehrenamt, da die großen Befugnisse des Kanzlers nach Seckendorff’s Tode erloschen waren. Die Gunst des Königs blieb W. bis zu seinem Tode.

Nicht so die Gunst der Hörer; auffälliger Weise verloren sich diese nach Befriedigung der Regier und scheinen mit der Zeit gänzlich geschwunden zu sein. […] Genug, Wolff’s Lehrthätigkeit trocknete ein, nicht so seine schriftstellerische, in der er es nach eigenem Rühmen zu großer Geläufigkeit gebracht hatte; er fuhr fort, sein System in lateinischer Sprache verständlich zu machen, schließlich doch so breit, daß sein hoher Gönner Friedrich, dem er jeden Theil seines achtbändigen ›ius naturae methodo scientifica pertractatum‹ in unverbrüchlicher Treue widmete, milde zur Kürze mahnte. An größeren Werken erschienen in diesem Zeitraume noch 1750 seine ›Philosophia moralis‹ und seine ›Oeconomica‹. Seine äußere Lage wurde sehr ansehnlich: der Reichsverweser Kurfürst Max Josef von Baiern ernannte ihn, nach Wolff’s eigener Angabe (Wuttke, Wolff’s Lebensbeschreibung, S. 29) auf Empfehlung seines Beichtvaters, des Jesuiten Stadler, 1745 zum Reichsfreiherrn, was Friedrich II. gern anerkannte; er erwarb das Rittergut Kl.-Dölzig, seine Mittel gestatteten ihm gesellschaftlich eine standesgemäße Lebensführung. Mit der Tochter des Stiftamtmanns Brandis verheirathet hinterließ er nach dem frühen Tode zweier Kinder einen Sohn Ferdinand; nach längerem Gichtleiden starb er im sechsundsiebenzigsten Lebensjahre. […]

Werke von oder mit Christian Wolff:


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Christian Wolff: Discursus praeliminaris de philosophia in genere. Einleitende Abhandlung über Philosophie im allgemeinen

Historisch-kritische Ausgabe.

Übersetzt, eingeleitet und herausgegeben von Günter Gawlick und Lothar Kreimendahl.
FMDA I,1
1996
LXVIII, 293 S.
Leinen
ISBN 978-3-7728-1523-2
Lieferbar
€ 89,–

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Philosophical Academic Programs of the German Enlightenment

A Literary Genre Recontextualized.

FMU I,4
2012
XVIII, 399 S.
Leinen
ISBN 978-3-7728-2617-7
Lieferbar
€ 186,–

Umschlagfoto

Christian Wolff: Einleitende Abhandlung über Philosophie im allgemeinen

Übersetzt, eingeleitet und herausgegeben von Günter Gawlick und Lothar Kreimendahl.
fhS 8
2005
LIV, 146 S.
Broschur
ISBN 978-3-7728-2393-0
Lieferbar
€ 28,–
eISBN 978-3-7728-3211-6
€ 28,–
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