Gottfried Arnold

evangelischer Theologe,
* 5.9.1666 Annaberg (Erzgebirge),
† 30.5.1714 Perleberg.

Genealogie

V Gottfried Arnold († 1695), Präzeptor in Annaberg; M Marie Lahling, verwitwete Meyer; Gvv Caspar Arnold, Diakon in Schlettau; ⚭ Werben 1701 Anna Maria, T des Johann Heinrich Sprögel, Superintendent in Werben, und der Susanna Margarete, Herausgeberin der Consilia et Responsa.

Leben

A.s Lebensgang drückt seine geistige Entwicklung aus. Nach der in Wittenberg, der Hochburg der lutherischen Orthodoxie, verbrachten Studienzeit kam A. unter den Einfluß Philipp Jacob Speners. Dieser zog ihn nach Dresden (1689), bewirkte seine »Bekehrung« und vermittelte ihm später eine Hauslehrerstelle in Quedlinburg, wo A. mit radikalen pietistischen Kreisen in Berührung kam. Den neuen, erlebten Gedanken gab er in einem historischen Werk 1696 durchgearbeitete Gestalt. Es trug ihm 1697 die Berufung auf die Geschichtsprofessur an der Universität Gießen ein. Früh wirkten auf A. neben Christian Thomasius und seinem rational gefärbten Humanismus auch Jakob Böhme und dessen deutsche wie englische Schüler ein. Durch ihre Vermittlung ist er in den radikalen Spiritualismus hineingewachsen. Nach kurzer Lehrtätigkeit legte er die Professur in Gießen nieder, was großes Aufsehen erregte. Die Lebensgestaltung sollte der radikalen Wendung der Gedanken entsprechen. Die Bekleidung des Amtes, das ein Stück »Welt« ist, ist dem Christen unmöglich, der auf jede weltliche Stellung verzichten muß. In diesem zweiten Lebensabschnitt A.s erschienen seine mystisch-spiritualistischen Gedichte sowie die berühmte »Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie« (4 Bände, Frankfurt 1699/1700 u. ö.), ein mit höchster Gelehrsamkeit gearbeitetes Werk. Aber er ist bei dem radikalen Spiritualismus nicht stehengeblieben. Von Gießen nach Quedlinburg 1698 zurückgekehrt, erlebte er daselbst seine zweite »Bekehrung«, die ihren Ausdruck in einem neuen Verhältnis zu Kirche und Welt fand. Nach seiner Verehelichung wurde A. 1702 Schloßpfarrer in Allstädt. Am Ende seiner Entwicklung steht die Rückkehr in die Kirche und die Zuwendung zu dem gemäßigten Pietismus nach der Art Speners. Wegen Verweigerung des Eides auf die Konkordienformel wurde er vom Landesfürsten in Allstädt nicht geduldet Er trat unter den Schutz des preußischen Königs, wurde 1704 Pfarrer in Werben (Altmark) und kam 1707 als Superintendent und geistlicher Inspektor nach Perleberg. Von dieser Stellung aus verteidigte A. seine Entwicklung und seine im Alter gemilderten Anschaungen gegen die Angriffe der alten radikalen Freunde und der orthodoxen Theologen. Seine Stellung in der Geistes- und Frömmigkeitsgeschichte wird durch die in der »Kirchen- und Ketzerhistorie« durchgeführte, radikale Auffassung von der Geschichte des Christentums begründet. Diese ruht auf der Voraussetzung, daß Frömmigkeit und Kirche, Religion und Recht, Erlebnis und Dogma unvereinbar sind, so daß alle Objektivationen des Religiösen als Verfallserscheinungen gewertet werden. Infolgedessen hat A. die große von ihm der Kirchengeschichtsschreibung gestellte Aufgabe, Geschichte der Frömmigkeit zu sein, selbst nicht lösen können. Für die Entstehung moderner historischer Prinzipien nimmt er eine Schlüsselstellung ein. Seine Nachwirkungen sind außer bei G. Tersteegen, J. L. Mosheim, J. Ch. Edelmann und J. S. Semler, auch bei Lessing, Friedrich dem Großen, Rousseau und Goethe festzustellen und setzen sich im 19. Jahrhundert in der radikalen Kritik an Christentum und Kirche fort.

Werke von oder mit Gottfried Arnold:

© frommann-holzboog Verlag e.K. 2024