Allgemeine Zeitschrift für Philosophie: Heft 37.3/2012

Abhandlungen:

• Theo Kobusch: Welt der Gründe oder Welt der Vernunft? Zur Einseitigkeit des Rationalismus
  Abstract

  Der Artikel sucht zu zeigen, dass in der abendländischen Vernunftkonzeption von Platon bis Wittgenstein immer das Bewusstsein vom bedingten Charakter des eigenen Standpunktes mit eingeschlossen war. Dieses Bewusstsein, auf einem bestimmten Boden zu stehen und in historisch gewachsene Selbstverständlichkeiten hineingeboren worden zu sein, wird traditionell Glauben oder Vertrauen genannt. Glauben dieser Art gehört selbst zur Vernunft. Das wird mit Blick auf die platonische und christliche Philosophie (der Kirchenväter) in der Antike und mit Bezug auf Kant, Jacobi und Wittgenstein in der Neuzeit zu zeigen versucht. Der moderne Rationalismus (Brandom, McDowell) aber hat dieses von der Vernunft allein wahrnehmbare Innestehen in einem bestimmten, historischen Allgemeinen in Verstandesdenken aufzulösen versucht.
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• Christian Grüny: Der Traum der Phänomenologie. Arbeit am Nullpunkt der Methode
  Abstract

  Nietzsches Beschreibung der Apollinischen Welt des Traums weist eine frappierende Ähnlichkeit zur Auffassung der Welt in der transzendentalen Reduktion bei Husserl auf. Ausgehend von Nietzsche und Schopenhauer wird die Frage nach der spezifischen Veränderung gestellt, die die Welt durch diesen Perspektiv- oder Einstellungswechsel erfährt. Für eine distanzierte Beobachtung transformieren sich bestimmte Erfahrungsdimensionen grundlegend, die auf einen Nach- oder Mitvollzug angewiesen sind, und letztlich ist die Verstrickung in die Welt nicht zu lösen. Auch die Phänomenologie hat die Notwendigkeit, Positionen zu beziehen und Darstellungen anzufertigen, wobei der radikale Husserl’sche Anspruch jede Verfestigung von Begriffen und Konstruktionen immer wieder unterläuft. Der Bruch mit dem Gewohnten ist der Nullpunkt der Methode, an den die Phänomenologie immer wieder zurückkehrt.

Berichte und Diskussionen:

• Georg Cavallar: Jean-Jacques Rousseau über Kosmopolitismus und kosmopolitische Erziehung
  Abstract

  Rousseau wird traditionellerweise als Begründer des modernen Nationalismus und einer nationalen Erziehung interpretiert. Diese Deutung stellt der Aufsatz in Frage und argumentiert, dass Rousseau einen »rooted cosmopolitanism« (Appiah) vertritt, um eine Formulierung des gegenwärtigen kosmopolitischen Diskurses zu verwenden. Hinter Rousseaus scharfer Kritik an Varianten des Kosmopolitismus, die im 18. Jahrhundert vertreten wurden (wie etwa dem naturrechtlichen oder kommerziellen), verbirgt sich die Suche nach einer authentischen, republikanischen und juridischen Form des Kosmopolitismus, die sich mit einem schwachen moralischen Kosmopolitismus verbindet. Émile enthält sogar die Skizze einer gelungenen kosmopolitischen Bildung.
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• Andreas Greiert: »Der Mensch fällt eben um keinen Preis zusammen mit dem bloßen Leben des Menschen.« Zur Konstellation Benjamin – Agamben
  Abstract

  Der Aufsatz leistet eine kritische Untersuchung von Giorgio Agambens Umgang mit Walter Benjamin, der eine wichtige Grundlage für Agambens große These von einem unausweichlich totalitären Charakter der (staatlichen) Souveränität bereitstellt. Die zentrale Diagnose, dass der Mensch erfolgreich auf sein bloßes Leben reduziert werde, entnimmt Agamben schließlich Benjamins Schrift »Zur Kritik der Gewalt«. Bei einer genauen Lektüre von Benjamins Text in seinen historisch-zeitgenössischen Kontexten lässt sich diese Lesart allerdings nicht bestätigen. Vielmehr wird deutlich, dass Agambens betont aktualisierende Rezeption entscheidende Gehalte von Benjamins Erörterung des bloßen Lebens stillschweigend ausblendet und Benjamins Argumentation nur in spezifisch verformter Weise wiederzugeben vermag.
• Jörg Volpers: McDowell und das Problem des verkörperten Subjekts
  Abstract

  McDowells Naturalismus der »zweiten Natur« soll das reflektierende Subjekt mit der Welt versöhnen, indem dessen rationale Fähigkeiten als ein natürlicher Teil dieser Welt ausgewiesen werden. In der Durchführung dieses Projekts in Mind and World ergeben sich jedoch zwei konfligierende Forderungen. McDowell plädiert für einen körperlichen Begriff der Subjektivität und richtet sich damit gegen Kants Konzeption einer reinen transzendentalen Vernunft. Zugleich betont er im Einklang mit Kant die Fähigkeit, sich im Denken autonom und eigenverantwortlich zu positionieren. Der Aufsatz argumentiert, dass sich die Körperlichkeitsthese auch im Rahmen eines ›entspannten‹ Naturalismus, wie ihn McDowell anstrebt, nicht mit der starken Autonomieannahme vereinbaren lässt. Konsequent gedacht zwingt die Kritik an Kants transzendentalem Subjekt zu einer Einbeziehung materialer Praktiken in die Logik der Reflexion und erfordert, über McDowells Begriff rationaler Fähigkeiten hinauszugehen.

Buchbesprechung:

• Sergej Seitz: Andreas Hetzel, Die Wirksamkeit der Rede. Zur Aktualität klassischer Rhetorik für die moderne Sprachphilosophie.