Allgemeine Zeitschrift für Philosophie: Heft 38.2/2013

Abhandlungen:

• Ana Agud: Sprache als ästhetische Praxis. Versuch einer ästhetisch-kritischen Philosophie der Sprache und der Sprachwissenschaft
  Abstract

  Der in der Sprachforschung unter dem Namen einer kognitiven Linguistik vorherrschende Szientismus hat Sprache als »embodied« neu entdeckt und versucht, sie unter Verwendung reduktionistischer Versuchsanordnungen sowie statistischer Methoden zu analysieren. Demgegenüber wird hier für eine Sprachbetrachtung plädiert, die vom erkenntnistheoretischen Primat des »Ganzen« ausgeht und Sprache als individuelles Geschehen betrachtet, durch welches Menschen einander auf allen Ebenen ihrer leiblichen Existenz sinnlich affizieren. Dabei werden wechselseitig »ästhetische« Reaktionen ausgelöst, die sich nicht durch begriffliche Analyse erklären lassen, sondern nur narrativ aufbereitet werden können. Im Licht neuer Forschungsergebnisse kann das Sprachgeschehen als ein hochkomplexes neuronales Verhalten neu verstanden werden. Zu beachten ist aber, dass dieses Geschehen nicht wissenschaftlich verobjektiviert werden kann, ohne gerade die subjektive Qualität einzubüßen, derentwegen Sprache heute im Zentrum der menschlichen Selbstreflexion steht.
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• Bernd Bösel: Die Relevanz der »Psychotechniken«. Argumente für die Indienstnahme eines ambivalenten Begriffs
  Abstract

  Ausgehend von den Befunden eines »affective turn« in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften geht dieser Artikel auf die Problematik der gezielten Affektbeeinflussung ein, die aufgrund der Vervielfachung technischer und medialer Möglichkeiten als vordringliches Thema zeitgenössischen Philosophierens herausgestellt wird. Von den Neuro- über die Selbsttechnologien bis hin zu den Massenemotionalisierungs- und Immersionstechniken wird das Arsenal der Affektbeeinflussung typologisch umrissen, um anschließend eine subsumierende Kategorie zu bilden, die mit dem überaus ambivalenten Begriff Psychotechnik belegt wird. Nach einem kurzen Abriss zum Kontext der psychologischen Disziplin Psychotechnik im frühen 20. Jahrhundert erklärt der Beitrag, warum dieser Begriff von philosophischer Relevanz ist. Im Anschluss an B. Stieglers technikphilosophische Schriften wird schließlich danach gefragt, ob sich die Philosophie nicht selbst als eine kritische Form von Psychotechnik auffassen lässt.

Berichte und Diskussionen:

• Claus Langbehn: Kritik der Moralphilosophie. Heideggers »geschichtliche« Einleitung in ›Sein und Zeit‹ in der Perspektive seiner Kant-Kritik
  Abstract

  Die Kant-Kritik Heideggers ist über viele Jahrzehnte mit dem Buch ›Kant und das Problem der Metaphysik‹ (1929) identifiziert worden. Durch die Veröffentlichung von verschiedenen Vorlesungen der 1920er Jahre zeichnet sich jedoch ab, dass diese Kant-Kritik komplexer ist, als es das Kant-Buch selbst vorgibt. In diesem Aufsatz folge ich der Vermutung, dass die im Sommersemester 1927 gehaltenen Vorlesungen über die ›Grundprobleme der Phänomenologie‹ von besonderer Bedeutung für die Frage nach dem Verhältnis Heideggers zu Kant sind. Es soll gezeigt werden, dass diese Vorlesungen als »geschichtliche« Einleitung in ›Sein und Zeit‹ gelesen werden können. Heidegger versucht, durch eine philosophische Interpretation Kants den Anspruch seiner eigenen Philosophie genauer herauszustellen. Im Mittelpunkt steht die Behauptung, dass es Kants Moralphilosophie ist, durch die Heidegger in seine Konzeption des Sichverstehens »geschichtlich« einleitet.
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• Christine Blättler: Die Wiederkehr der Geschichte nach ihrem proklamierten Ende. Geschichtsphilosophie und Dekonstruktion
  Abstract

  Sowohl das Posthistoire wie die aktuelle anthropologische Konjunktur scheinen die Frage nach der Geschichte verabschiedet zu haben. Doch auch wenn Geschichtsphilosophie nicht mehr auf eine sinnhafte »große Erzählung« zielt, sucht sie heute die unverfügbare historische Dynamik zu reflektieren, mit der menschliche Subjekte konfrontiert sind. Wie verkoppelt die Fragen nach dem Menschen und der Geschichte sind, zeigt noch die französische Philosophie über post- human-posthistorische Konzeptionen. Deren »Urszene« macht der Artikel in der als doppelbödig analysierten Hegellektüre von Alexandre Kojève aus, die zu einem Drehpunkt wurde und der französischen Theorie eine doppelte Erbschaft vermachte: einen sehr partiellen Hegel und zugleich die konzeptuelle Möglichkeit, sich von diesem abzuwenden. Auf dieser Basis erläutert der Artikel, wie Jacques Derrida nicht nur die individuelle, sondern genauso die historische Unverfügbarkeit über das Unbewusste zu fassen versuchte.

Buchbesprechung:

• Georg W. Bertram: Arbeit am amphibischen Problem. Hegels Ästhetik und ihre jüngste Aktualisierung (zu Robert B. Pippin, ›Kunst als Philosophie‹).Artikel kaufen