Georg Friedrich Meier

Philosoph,
* 29.3.1718 Ammendorf bei Halle/Saale,
† 21.6.1777 Giebichenstein bei Halle/Saale. (evangelisch)

Nach erstem Unterricht durch den Vater besuchte M. 1727 die Schule des Waisenhauses in Halle, die er jedoch schon nach wenigen Monaten seiner kränklichen Konstitution wegen wieder verlassen mußte. Seit 1729 erhielt er Privatunterricht bei Oberdiakon Christoph Semler in Halle, hauptsächlich in naturwissenschaftlichen Fächern. Kenntnisse auf geisteswissenschaftlichem Gebiet eignete er sich überwiegend im Selbststudium an. Neben Semlers Unterricht hörte M. bereits seit 1732 Vorlesungen an der Univ. Halle. 1735 immatrikulierte er sich für die Fächer Theologie und Philosophie. Seine bevorzugten Lehrer waren die Brüder Siegmund Jakob und Alexander Gottlieb Baumgarten. 1739 legte M. das Magisterexamen ab, im selben Jahr habilitierte er sich mit der Schrift ›De nonnullis abstractis mathematicis‹. Als A. G. Baumgarten 1740 einem Ruf nach Frankfurt/Oder folgte, übernahm M. dessen Lehrverpflichtungen. 1746 zum ao. und 1748 zum o. Professor ernannt, hielt er Vorlesungen über Themen aus allen philosophischen Disziplinen. Mehrere Rufe an auswärtige Universitäten lehnte er ab.

Als Schüler A. G. Baumgartens stand M. in der Tradition der Leibniz-Wolff’ schen Metaphysik, wandte sich jedoch unter dem Einfluß des Empirismus Lockes ab von der spekulativen Vernunftlehre und hin zum praktischen Vernunftbegriff der Aufklärung. Förderung der Vernunft in allen menschlichen Bereichen als der Voraussetzung eines glücklichen Lebens war sein Anliegen. M. schloß sich deshalb jenen popularphilosophischen Schriftstellern an, die ihre Gedanken in deutscher Sprache und verständlicher Begrifflichkeit einem wenig vorgebildeten Publikum zu vermitteln suchten.

In ›Abbildung eines wahren Weltweisen‹ (1745) setzt er sich bereits kritisch mit den Aufgaben des Wissenschaftlers, insbesondere des Philosophen auseinander: Nicht der reine Erkenntnisgewinn mache den Wert wissenschaftlicher Forschung aus, sondern erst die Umsetzung des Erkannten in praxisorientiertes Denken und Handeln. Daher sei es nicht unter der Würde eines Gelehrten, sich für jedermann verständlich auszudrücken. Weltabgewandte Spekulation im wissenschaftlichen Elfenbeinturm ist für M. geradezu lächerlich. Daß M. diesem Wissenschaftsethos selbst nur unzureichend entspricht, belegen alle seine Schriften. Sein Bemühen um klare und deutliche Gedankenführung schlägt sich vielfach in einem übermäßig breiten ermüdenden Stil nieder. Aber auch den geforderten lebenspraktischen Bezug der Erkenntnis vermag er nicht immer herzustellen. So wird er dem selbstgestellten Anspruch aus der ›Abbildung eines Weltweisen‹ in der 1752 erschienenen ›Vernunftlehre‹, einem seiner Hauptwerke, gänzlich untreu, indem er hier ein Hohes Lied der abstrakten Erkenntnis anstimmt.

M.s Bedeutung in der Philosophie beruht vor allem auf seinen Arbeiten zur Ästhetik. Nachdem sein Lehrer A. G. Baumgarten ihr Kathederwürde verliehen und sie als selbständige philosophische Disziplin begründet hatte, verstand es M., ihre Probleme vor einem breiten Publikum zu entfalten. Schon vor dem Druck von Baumgartens ›Aesthetica‹ (1750 u. 58) gab M. die ihm überlassenen Ausarbeitungen zu dessen Vorlesungen, bearbeitet unter dem Titel ›Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften‹ (3 Bde., 1748–50), heraus. Damit lag das erste systematische Werk zur Ästhetik in deutscher Sprache vor. Ästhetik, so lautet M.s Bestimmung, ist die »Logik der unteren Erkenntniskräfte«. Was die reine Logik für die Vernunft, das bedeutet M. die Ästhetik für die Sinnlichkeit. Insofern auch dem Gefühl Erkenntniswert zukommt – wenngleich nach Leibniz, Wolff und Baumgarten/M. nur als »undeutliche und verworrene« Erkenntnis – so ist die Ästhetik jene philosophische Disziplin, die diese besondere Erkenntnisform wissenschaftlich thematisiert. Und da die Sinnlichkeit sich zuerst und zumeist am Phänomen des Schönen entzündet, ist es natürlich, daß Kunst und Schönheit im Mittelpunkt der Ästhetik stehen. Allerdings beschränkt sich M. in dieser Darstellung auf die Poetik. Spätere Versuche, auch die übrigen Künste in die ästhetische Reflexion einzubeziehen – so in der 2. Auflage der ›Anfangsgründe‹ (1754-59) und in den ›Betrachtungen über den ersten Grundsatz aller schönen Künste und Wissenschaften‹ (1757) – scheiterten bereits im Ansatz.

Die Frage, ob M. in den ›Anfangsgründen‹ über Baumgartens Konzeption der Ästhetik hinausgegangen sei, ist in der Forschung umstritten. In einem Punkt jedoch ist man sich einig: Ohne M.s Werk härte die junge Disziplin kaum solche Verbreitung gefunden und Anlaß zu heftigen Auseinandersetzungen geboten, zumal sie zum Zeitpunkt der poetologischen Polemik zwischen Gottsched und den Schweizern Bodmer und Breitinger dem interessierten Publikum bekanntgemacht wurde. Auch M. meldete sich in dieser Debatte zu Wort. Mit mehreren Schriften stellte er sich an die Seite der Schweizer und trat mit ihnen gegen Gottsched für das poetisch Mögliche, Wahrscheinliche und Wunderbare, mithin für eine dichterische Freiheit ein, die nicht an der erfahrbaren Wirklichkeit ihre Begrenzung findet. Und ganz im Sinne der Schweizer fiel seine rühmende Beurteilung des Heldengedichts ›Der Messias‹ (1749 u. 1752) aus, die zu einem nicht geringen Teil zur allgemeinen Anerkennung Klopstocks und Begeisterung für sein Werk beim Publikum beitrug. Ebenso machte er sich um die neue literarische Bewegung in Deutschland verdient, indem er 1752 Wielands Erstlingswerk ›Die Natur der Dinge‹, versehen mit einem empfehlenden Vorwort, herausgab.

Wie in der Ästhetik, ist M. auch in den übrigen philosophischen Disziplinen seinem Lehrer Baumgarten verpflichtet. So in der Ethik (›Philosophische Sittenlehre‹, 5 Bde., 1753–61), in der Metaphysik (4 Bde., 1755–59) und in der Praktischen Philosophie (›Allgemeine praktische Weltweisheit‹, 1764). Diese Verbundenheit hat er nie zu verbergen gesucht. Nach Baumgartens Tod wurde M. dessen erster Biograph (›Leben des Professors Alexander Gottlieb Baumgarten‹, 1763). In der zeitgenössischen Diskussion über die Unsterblichkeit der Seele hat M. vermutlich aus Rücksicht auf eine Kritik, die ihm einen Mangel an Rechtgläubigkeit nachzuweisen versuchte, keine eindeutige Position eingenommen. Dem aufklärerischen Geist am meisten verbunden zeigt sich M. in zahlreichen kleinen moralisch-didaktischen Schriften.

M.s Werk trug seinerzeit in außerordentlicher Weise zur Verbreitung einer neuen Denkrichtung bei, der aufklärerischen im allgemeinen und der schönheits- und kunstphilosophischen im besonderen. Viele heute noch gängige ästhetische wie überhaupt philosophische Fachausdrücke in deutscher Sprache gehen auf M. zurück, da sie von Kant insbesondere in dessen Frühschriften aufgegriffen wurden. Eine tiefergreifende, bis heute reichende Wirkung blieb M. jedoch versagt, da er, gleich vielen seiner Zeitgenossen, den letzten Schritt zur Aufklärung nicht zu gehen wagte. So kann er zwar nicht als eindeutiger Vertreter jenes neuen Denkens, wohl aber als einer seiner Wegbereiter gelten.

Werke von oder mit Georg Friedrich Meier:


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Georg Friedrich Meier: Beyträge zu der Lehre von den Vorurtheilen des menschlichen Geschlechts / Contributi alla dottrina dei pregiudizi del genere umano

Kritische Edition – Edizione critica.

Herausgegeben, eingeleitet und übersetzt von Heinrich P. Delfosse, Norbert Hinske und Paola Rumore.
2006
XL, 190 S.
Broschur
ISBN 978-3-7728-2377-0
Lieferbar
€ 18,–

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Philosophical Academic Programs of the German Enlightenment

A Literary Genre Recontextualized.

FMU I,4
2012
XVIII, 399 S.
Leinen
ISBN 978-3-7728-2617-7
Lieferbar
€ 186,–
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