Was ist Philosophie? – Eine unter Philosophen eher gefürchtete Frage, vor allem, wenn Laien eine Antwort wünschen. Die Frage zwingt dazu, vermeintlich professionelle Argumentationen zu ersetzen durch einen kritischen Blick auf ein Gesamtprojekt, das den Fachdiskussionen erst ihren Sinn gibt. Angeregt durch einen Vortrag von Holm Tetens hat die Allgemeine Zeitschrift für Philosophie namhafte Vertreter des Fachs nach ihrem Verständnis des Projekts der Philosophie gefragt. Dabei kann es nicht darum gehen, die notorisch uneinige, vom Streit geradezu lebende Zunft auf einen Minimalkonsens verpflichten zu wollen. Antworten dürfen (und werden) also umstritten sein. Das gilt sogar dort, wo sie eigentlich Selbstverständliches sagen, etwa dass das Hauptgeschäft der Philosophie nicht in irgendwelchen ›Beweisen‹ oder ›Widerlegungen‹ philosophischer Thesen, Positionen und Weltanschauungen liegt, sondern darin, selbst-verständliche Voraussetzungen menschlichen Wissens, Handelns und Lebens in gewissen Stufen der Relevanz so explizit zu ordnen, dass es auch der gebildete Laie die Bedeutsamkeit dieser Ordnungsversuche versteht.
Holm Tetens / Pirmin Stekeler-Weithofer : Editorial
Holm Tetens : Existenzphilosphie als Metaphilosophie. Versuch, die kontroverse Pluralität der Philosophie zu erklären
Abstract Eines der besonders auffälligen Merkmale der Philosophiegeschichte ist die durch -
gängige kontroverse Pluralität der Philosophie. Wie lässt sich dieses Merkmal erklären?
Der Aufsatz gibt darauf eine zweistufige Antwort. Die Philosophie wird
zunächst von der Leitfrage her verstanden, wie sich die Wirklichkeit und der
Mensch, der selbstreflexiv sich auf eben diese Wirklichkeit bezieht, als ein vernünftiges
Ganzes gedacht werden können. Anschließend wird gezeigt, dass in den
kontroversen Antworten der Philosophie auf diese Frage sich die »antinomische
Stellung« des Menschen in der Welt widerspiegelt, wie sie besonders in der Existenzphilosophie
herausgearbeitet worden ist.
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Hermann Lübbe : Über ›Philosophie‹
Abstract Statt programmatisch ein »Projekt der Philosophie« zu entwerfen, wird exemplarisch
in Erinnerung gerufen, wie der Bezug auf »philosophische« Fragen, Orientierungs-
und Erklärungsleistungen in unserer Kultur omnipräsent ist. Wenn man
die Leistungen der Wissenschaften als »Weltbild« oder Weltkarte zusammenfassen
kann, ist der Ort der Philosophie am Rand der Karte, wo die Erklärungen der
Symbole verzeichnet sind, die im Bild repräsentieren, was wir in ihm von der in
ihm abgebildeten Wirklichkeit finden und wo wir es finden. Das im Kartensymbolismus
manifeste Wissen verhält sich zum Wissensgehalt des Kartenbildes als
apriorische Bedingung der Generierung dieses Wissens. Neuer Wissensbedarf und
mit ihm der Zwang zu einer reflexiven Erarbeitung der je neuen Philosophie dieses
Bedarfs ergibt sich unablässig durch die Veränderun gen, die die Nutzung des
Wissens zeitigt. So wächst mit der evolutionären Dynamik der modernen Wissenschaften
und steigendem Komplexitätsgrad der modernen Zivilisation der Bedarf
an Philosophen.
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Pirmin Stekeler-Weithofer : Explikation von Praxisformen
Abstract Wenn wir die Einsichten eines Plato, Aristoteles, Kant, Hegel und Wittgenstein zusammenfügen, können wir erkennen, dass das zentrale Thema philosophischer Reflexion ›Formen‹ sind, aber nicht als transzendente oder utopisch-idealische
Ideen, sondern als Vollzugsformen. Die Grundlage jedes Wissens, am Ende auch
des Wissens über Formen selbst, ist immer schon ein praktisches Wissen, ein
Können, das sich in der Kompetenz äußert, Formen zu reproduzieren und wiederzuerkennen.
Als solches ist jedes Wissen eine ›vernünftige Fähigkeit‹.
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Günther Figal : Die phänomenologisch-hermeneutische Möglichkeit der Philosophie
Abstract Die phänomenologische Möglichkeit der Philosophie erwächst aus dem Versuch,
eine Sache vorbehaltlos zu verstehen, sie in voraussetzungslosen Beschreibungen
so aufzuzeigen, dass sie sich zeigt. Philosophie kommt zu sich selbst nirgends
anders als in der reflektierenden Entwicklung der Frage nach einer Sache selbst.
Philosophische Beschreibungen haben es mit dem Begriff einer Sache derart zu
tun, dass sie diese Sache begreifend entfalten und in der Begrifflichkeit ihrer Darstellung
sich zeigen lassen. Philosophische Beschreibung ist keine Interpretation,
ihr Verfahren geht im hermeneutischen nicht auf. Doch die Erfahrung der Interpretation
von Texten kann als Modell des phänomenologischen Verfahrens der
Philosophie dienen, insofern ein Text immer wieder zu neuen Interpretationen herausfordert.
Zudem sieht sich die philosophische Begriffsbildung in der Pluralität
und Perspektivität der jeweiligen Darstellungen stets auch auf die kritische Interpretation
anderer philosophischer Konzeptionen verwiesen.
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Hans Julius Schneider : Arbeit oder Leerlauf? Die bleibende Aktualität der Sprachphilosophie
Abstract Der Aufsatz bemüht sich zu zeigen, dass auch in Zukunft eine Reflexion auf die
Sprache für eine erkenntniskritisch orientierte Philosophie notwendig sein wird,
schon deshalb, weil der Fortschritt der Wissenschaften und die gesellschaftlichen
Veränderungen uns immer erneut vor die Aufgabe stellen, Sinn von Unsinn zu unterscheiden,
d.h. Fälle, in denen die Sprache arbeitet, von Fällen, in denen sie
leerläuft oder ›feiert‹. Dies wurde in letzter Zeit besonders bei den Folgerungen
sichtbar, die manche Experten aus der Hirnforschung für die Rechtsprechung ziehen
wollten. Im Einzelnen wird gezeigt, wie eine am späten Wittgenstein orientierte
Sprachphilosophie zwischen den Illusionen einer formalsprachlichen Festlegung
des Bereichs des Sinnvollen (axiomatische Theorie der Bedeutung) und
eines unkritischen Quietismus (»die Philosophie lässt alles, wie es ist«, eine
Reflexion auf die Sprache hat keine erkenntnistheoretische Funktion) hindurch
steuern kann.
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Tilman Borsche : Das Projekt einer ersten Philosophie.
Abstract Der Beitrag geht der Frage nach, was an den Entwürfen der Ersten Philosophie
auch heute noch als unverzichtbar und was inzwischen als überwunden gelten
darf. Unverzichtbar erscheint der Blick auf das Ganze, sowohl des Denkens selbst
als auch seiner Gegenstände, der Welt. Doch das kann kein Blick von außen sein,
ihm fehlt der archimedische Punkt. Folglich ist der Anfang das Problem. Den Anfang
macht ein Wort, eine Unterscheidung, mit der sich ein Begriff, eine Idee verbindet,
doch dieser Anfang ist kontingent und vielfältig historisch vernetzt. Erste
Philosophie ist der jeweils zeitgemäße Versuch, von einem solchen Anfang her die
Totalität des Denkens und seiner Welt verständlich zu explizieren. Die Philosophie
des 20. Jahrhunderts fand ihre traditionskritische Neuorientierung am Begriff der
Sprache. Der zweite Teil des Beitrags argumentiert für die Vermutung, dass künftig
der Begriff der Kultur diese Orientierungsfunktion übernehmen wird.
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