Thomas Alexander Szlezák

Philologia ancilla philosophiae -- mein Weg zum Dienst an der Philosophie

Über meinen ›Weg in die Philosophie‹ will ich nicht schreiben, weil ich nicht ganz sicher bin, ob ich dort schon angekommen bin. Es mag ja ´modern´ sein, in Unsicherheiten, Wagnissen, Irrungen und Selbstzweifeln zu schwelgen. Indes gefällt mir der nicht so moderne Parmenides hierin doch besser, der über seinen ›Weg‹ erst schrieb, als er Gewißheit darüber gewonnen hatte, was zu wählen und was zu meiden sei.

Immerhin hoffe ich, irgendwie im ›Dienst‹ der Philosophie zu stehen, oder schlichter: den Lesern antiker philosophischer Texte die eine oder andere Hilfe bieten zu können, die so anderswo nicht geboten wird. Philologia ancilla philosophiae - wie kam ich darauf, die mittel­alter­liche Formel von der ›Magd‹ Philosophie, die der Theologie zu dienen habe, umgemünzt auf meine Arbeit anzuwenden und mich dauerhaft in den Dienst der längst zur Freiheit gelangten ›Herrin‹ Philosophie zu stellen?

Eine ambivalente Erfahrung stand am Anfang, nämlich die, daß über Nietzsche eigent­lich jeder schöne Dinge sagen kann, der ein bißchen natürliche Beredsamkeit mitbringt, und daß den heideggerschen Jargon jeder halbwegs Sprachbegabte soweit erlernen kann, daß er von anderen bewundert wird. Und ich stand in meinen ersten Semestern in der Kunst, flüssig bis elegant über Nietzsche und Heidegger, ja sogar über Kant und Husserl zu reden, niemandem unter den Altersgenossen nach. Schlimmer noch: es gab sogar Lehrer an zwei Universitäten, die das positiv bewerteten und mich förderten.

Es war also nicht ein Scheitern, das mich umdenken und schließlich meinem gekonnten Spiel auf fremden Sprachtastaturen mißtrauen ließ. Es war die schlichte Erfahrung, daß dieses Hantieren mit halbverstandenen Begriffen und kopernikanischen und sonstigen ›Wenden‹ und ›Kehren‹ radikal zuschanden wird, wenn es gilt, zu sagen, was ein einfacher Satz bei Heraklit, bei Platon oder Aristoteles besagt, oder zu begründen, warum der platonische Phaidros später sein soll als die Politeia. Nicht daß es schwierig gewesen wäre, andere zu imitieren, die über die Haltlosigkeit ihrer Benützung der Griechen mit viel Rhetorik und Chuzpe hinwegzutäuschen vermochten. Aber es war mir unmöglich, bei diesem Spiel noch mitzumachen.

Mein philosophisches Interesse als Jugendlicher ( - muß ich dieses Interesse eigentlich begründen oder irgendwie ›herleiten‹? Ich könnte es nicht ...) hatte mich also zu den Denkern getrieben, die damals als die radikalsten galten. Meine Unfähigkeit, auf intellektuelle Redlichkeit zu verzichten, trieb mich dann zurück zur sprachlichen Grundlage aller abendländischen Begrifflichkeit, zum Griechischen. Ich begann nachzuholen, was mir die Schule nicht geboten hatte. Ich versuchte ab meinem achten Semester, die Sprache, die einst von Heraklit, Parmeni­des und Anaxagoras, von Platon, Aristoteles und Plotin gesprochen worden war, möglichst gründlich zu erlernen. Was damals (abgesehen vom Graecums-Kurs) nur im Selbstunterricht möglich war. Bald merkte ich, daß man die Sprache der Denker doch nur halb versteht, wenn man nicht auch die Sprache von Homer, Pindar und Aischylos, von Sophokles, Euripides und Menander kennt. Beim Versuch, all das zu erlernen, bin ich heute noch - inzwischen dafür bezahlt als Professor der Gräzistik.

Ein Leben lang die Griechen lesen zu dürfen, betrachte ich als immmenses Privileg. So versuche ich als Philologe wenigstens nützlich zu sein für andere Leser dieser Autoren. Ich untersuche etwa Plotin, den dritten der großen Metaphysiker der Antike, um zu zeigen, wie er philosophische Exegese an den für ihn ›klassischen‹ Texten von Platon und Aristoteles trieb - und siehe da, wenn wir seine Arbeitsweise am Text näher beobachten, verstehen wir auch seine Lösungen besser. Ich analysiere Platons Dialoge als Dramen, und zwar im Ausgang von seiner Schrifkritik als dem Kompaß, den er selbst uns mitgegeben hat - und siehe da, es läßt sich philologisch zeigen, daß die (noch) weit verbreitete Ablehnung oder Nichtbeachtung der münd­lichen Prinzipienlehre sachlich widersinnig ist. Und ich übersetze die aristotelische Metaphysik neu, hoffe sie auch einmal zu kommentieren.

Meine Arbeit an den philosophischen Texten der Griechen will also durch Anwendung nachprüfbarer Methoden kontroverse Fragen einer Entscheidung näher bringen. Der Interpretationsspielraum ist vorgängig auf das einzuengen, was der Natur der Texte entspricht und was der historische Ort der Griechen zuläßt oder fordert. Als unzulässig betrachte ich es, unsere eigenen Positionen unreflektiert auf die Antike zu projizieren. Es soll(te) künftig nicht mehr möglich sein, schlichtweg alles aus den Griechen herauszulesen, will sagen: in sie hinein­zu­legen.

Was von diesen Texten eignet sich nun als Einstieg in die Philosophie? Weniges bei Aristoteles (vielleicht am ehesten seine ›Theologie‹ im zweiten Teil des zwölften Buches der Metaphysik), weniges auch bei Plotin (immerhin: die bekenntnishafte Schrift Enneaden 4.8 könnte auch junge Menschen von heute mitreißen). Ungebrochen ist hingegen die Faszination des platonischen Porträts des Sokrates als Prototyp des Philosophen im Gorgias, Symposion, Phaidros, ebenso in der Apologie und der Politeia. Und wenn einer oder eine durch die rätsel­haf­ten Sprüche Herakleitos’ des Dunklen von Ephesos zur Philosophie fände, so erginge es ihm oder ihr wie dem größten aller Denker, wie Platon selbst, der Herakliteer war, bevor er Sokrates begegnete.

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