Salomon Maimon
Philosoph,
*circa 1753 Sukowiborg (Litauen),
† 22.11.1800 Nieder-Siegersdorf bei Glogau (Schlesien). (israelitisch)
M. wurde mit Bibel und rabbinischer Literatur in hebräischer Sprache schon in früher Jugend durch den Vater und die Talmudschule vertraut. Mit elf Jahren hatte er den Ausbildungsstand eines Rabbiners und konnte deshalb vom Vater gegen ein ansehnliches Entgelt verheiratet werden. Bereits nach einem halben Jahr verließ er sein Heim der Schwiegermutter wegen und verdingte sich als Hauslehrer. Nur an Festtagen zu Hause, wurde er mit 14 Jahren Vater eines Sohnes. Er beschäftigte sich nun im Selbststudium mit jüd. Mystik und dem Philosophen Maimonides, nach dem er sich später nannte.
Mit sechzehn Jahren erlernte er die lat. Schrift durch das Dechiffrieren der Bogenzählungen hebräischer Bücher. Seinem Wunsch folgend, säkulare Wissenschaften zu studieren, verließ er um 1777 Heimat und Familie endgültig, um nach Königsberg zu gehen, und schlug sich im selben Jahr nach Berlin durch. Da man eine Schrift des Maimonides bei ihm fand, wurde er vom orthodoxen Vorstand der jüd. Gemeinde am Betreten der Stadt gehindert. Nach Monaten unsteten Vagabundierens in Gesellschaft eines Landstreichers fand er durch Zwi Hirsch ben Abraham eine Anstellung als Hauslehrer in Posen, wo er zwei Jahre blieb. Als er nach einer bewußten Provokation abergläubischer Juden der Häresie verdächtigt wurde, ging er 1780 wieder nach Berlin, wo er Aufnahme fand. Durch eine schriftliche Auseinandersetzung mit der Metaphysik Wolffs, die er Moses Mendelssohn zusandte, erlangte er Zugang zu dessen Kreis und erfuhr dessen Protektion. Er absolvierte nun eine ca. dreijährige Lehrzeit als Apotheker, ohne sich für die praktische Seite dieses Berufs zu interessieren. Dies, seine naive Offenheit und sein Benehmen, das oft den gesellschaftlichen Gepflogenheiten zuwiderlief und ihm den Vorwurf des Hochmuts und unpassender Lebensweise eintrug, waren Anlaß, ihn wieder zum Verlassen der Stadt zu bewegen. […]
Durch die Vermittlung Christian Garves erhielt er nun ein karges Stipendium, gleichzeitig gab er Privatunterricht; er begann ein Medizinstudium, übersetzte Moses Mendelssohns ›Morgenstunden‹ und verfaßte eine hebräische Schrift über Newton. Hier stimmte er endlich auch einer Scheidung zu, die seine Frau schon während seines Aufenthalts in Hamburg hatte erreichen wollen.
1786 (?) begab sich M., angezogen von der geistigen Atmosphäre dieser Stadt, ein viertes Mal nach Berlin. Obgleich Mendelssohn mittlerweile gestorben war, wurde er aufgrund der Bemühungen Lazarus Bendavids, des späteren Kantianers, von reichen Mitgliedern der Gemeinde erneut unterstützt. Er studierte nun Kants ›Kritik der reinen Vernunft‹ und schrieb 1789 sein wichtigstes philosophisches Werk, den ›Versuch über die Transcendentalphilosophie‹. Kant, der diese Schrift durch Markus Herz erhalten hatte, sprach sich in einem Brief an diesen lobend über den »Versuch« aus und eröffnete M. dadurch die Möglichkeit, das Buch 1790 drucken zu lassen und Aufsätze in verschiedenen wissenschaftlichen Journalen zu veröffentlichen (Berlinische Monatsschrift, Berlinisches Journal für Aufklärung, Deutsche Monatsschrift u. a.). 1791 erschien auch der erste Teil eines groß angelegten philosophischen Wörterbuchs. Das Interesse, das einige autobiographische Fragmente, die er im von K. Ph. Moritz herausgegebenen ›Magazin für Erfahrungsseelenkunde‹ veröffentlichte, fanden, veranlaßte ihn schließlich, eine ›Lebensgeschichte‹ zu schreiben, die Moritz mit einem Vorwort erscheinen ließ (1792/93). Das Buch hatte Erfolg und machte M. einem breiteren Leserkreis bekannt. Auch in Jena und Weimar begann man sich für ihn zu interessieren. Eine Existenzgrundlage konnte er sich durch seine Schriftstellerei allerdings nicht schaffen. Er blieb abhängig vom Wohlwollen jüd. Mäzene, die ihm allerdings seiner Anschauungen und seines unorthodoxen, als »liederlich« geltenden Lebenswandels wegen ihre Unterstützung nach und nach entzogen, zuletzt Ende 1794 Samuel Levy. So folgte M. 1795 einer wiederholt ausgesprochenen Einladung von Adolf Gf. v. Kalckreuth auf dessen Gut bei Glogau, wo er wohlversorgt, aber isoliert nach fünf Jahren infolge Trunksucht starb. Sein gesamtes philosophisches Werk schuf M. in den letzten 10 Jahren seines Lebens.
Mit seiner Autobiographie gibt M. eine »unparteiische und vorurteilsfreie Darstellung des Judentums« (Moritz) seiner Zeit. Insofern stellt sie ein einzigartiges kulturhistorisches Dokument dar. Die eingefügten religions- und philosophiegeschichtlichen (Maimonides) Kapitel, in denen er die Übersetzbarkeit religiöser Vorstellungen in die Sprache der Vernunft zu zeigen sucht, lassen seine ›Lebensgeschichte‹ als »Beitrag zur Geschichte der Philosophie« (Zweites Buch, Vorrede) erscheinen.
[…] Die Philosophie ist für ihn die Wissenschaft von der Möglichkeit einer Wissenschaft überhaupt. Außer durch Maimonides und Kant ist M.s Philosophie auch durch Spinoza, Leibniz und Hume beeinflußt. Trotz der Wertschätzung M.s durch bedeutende Zeitgenossen – Schelling hat wiederholt seine Hochachtung M.s geäußert und Fichte seine »Verehrung für das Talent dieses Mannes« gegenüber Reinhold »grenzenlos« genannt (März 1795) – fand nach seinem Tode sein Werk zunächst wenig Beachtung. J. E. Erdmann hat zuerst in seinem ›Versuch einer wissenschaftlichen Darstellung der Geschichte der neueren Philosophie‹ (Abt. 3, 1848-53, I, S. 510-37) M. in den Blickwinkel der philosophischen Forschung gerückt. Hermann Cohen und der Neukantianismus erhielten durch seine Schriften wesentliche Anregungen.
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