Valentin Weigel

Valentin Weigel (Weichel), sächsischer evangelischer Pfarrer und bekannter mystischer Philosoph, wurde 1533 in Naundorf, einer Vorstadt von Großenhain, weshalb er sich Haynensis nennt, im Meißner Kreise des damaligen Herzogthums, jetzigen Königreichs Sachsen, als Sohn armer Eltern geboren. Der einflußreiche Nath Georg v. Kommerstadt, der in der Nähe die Rittergüter Adelsdorf und Kalkreuth besaß, nahm sich des Knaben an und vermittelte auf der nach Einführung der Reformation unter seinem Einflusse gegründeten Fürstenschule zu Meißen für den Knaben eine Freistelle, die dieser von 1549 bis 1554 innehatte. Dankbar gedenkt er später des durch seine Thätigkeit als Schulmann, Gelehrter und Schriftsteller gleich angesehenen Rectors Georg Fabricius, wie des Conrectors Hiob Magdeburg[…].

Mit vier Landsleuten bezog W. im Sommersemester 1554 die Universität Leipzig, um Theologie zu studiren; zunächst aber hatte er sich nach der Studienordnung philosophischen, mathematischen und naturwissenschaftlichen Studien zu widmen. Er wurde unter die Zahl der kurfürstlichen Stipendiaten aufgenommen, die nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern noch in besonderen Uebungen unter Leitung von Professoren und in häufigen Prüfungen eine gediegenere Ausbildung genossen. Um Michaelis 1558 erwarb er sich die Würde eines Baccalaureus, im folgenden Wintersemester die eines Magisters, betheiligte sich auch mehrfach an Disputationen. Im Frühling 1559 wurde er von der bairischen Nation zum Curator des Paulinums gewählt. Er hatte als solcher die Hausordnung, sowie das Leben und die Arbeiten der Studenten zu überwachen.

Bereits 31 Jahre alt, entschloß er sich nach der Universität Wittenberg überzusiedeln. Am 1. November 1564 — nicht 1563, wie bisher angenommen wurde. — ward er immatriculirt. Ueber seine Absichten, Thätigkeit und Stellung haben wir keine genauen Angaben. Doch scheint er sich mit dem Unterrichte von Studenten befaßt zu haben. Es ergibt sich dies aus drei Hochzeitsgedichten, die ihm von drei Schülern zu seiner Verheirathung im J. 1565 gewidmet wurden. Als Braut wird darin Katharina Poch, »honesti viri Georgij Pochii Filia«, genannt, wonach die in den bisherigen Lebensbeschreibungen angegebenen Namensformen und Vermuthungen über die Herkunft der Braut zu ändern sind.

Wie damals gern größere Pfarreien und Superintendenturen mit jungen Universitätslehrern besetzt wurden, so erhielt W. 1567 die Berufung in das Pfarramt zu Zschopau im Erzgebirge, das er bis zu seinem Tode verwaltet hat. Als bei der Neuordnung der kirchlichen Verwaltung die Localvisitationen eingerichtet, und für umfangreichere Sprengel den Superintendenten Adjuncte zur Unterstützung beigegeben wurden, erscheint W. bei der ersten Localvisitation als Adjunct für acht Dörfer der Ephorie Chemnitz. […]
Namentlich war Klage zu führen über einen Pfarrer, der durch Zechen und Spielen bis in die Nacht hinein, sowie durch Bierschenken auf einem brauberechtigten Grundstücke Aergerniß erregte, gleichzeitig aber auf die Hofprediger zu Dresden, als seine Schwäger und Patrone pochte. Ob diese wirklich den Beschuldigten trotz der Rüge, die er auf Anordnung des Synodus von dem Superintendenten erhielt, in Schutz genommen und dem Adjuncten durch Beseitigung als Visitator ihr Mißfallen haben merken lassen, ist aus den zur Verfügung stehenden Actenstücken nicht ersichtlich.
Jedenfalls erscheint der letztere seitdem nicht mehr als Visitator thätig. Möglich wäre allerdings, daß eine andere Eintheilung der Ephorie durch sachliche Gründe veranlaßt wurde, oder daß Weigel’s Krankheit ihn an der Uebernahme weiterer, mit Reisen verbundener Verpflichtungen hinderte. Daß er zunächst wegen seiner Lehre keinen Verdacht erregt, ergibt sich daraus, daß, als 1577 über verdächtige Conventicula in Weisenbrot’s Hause berichtet wurde, der Synodus eine Verwarnung durch den Pfarrer beschloß. Bei den folgenden Visitationen lautet das Urtheil über den Zschopauer Geistlichen stets befriedigend, sowol des Visitators über Bekenntniß und theologische Bildung, als der Gemeinde über Predigt, Seelsorge und sonstige Amtsverwaltung. Aus den zeitgenössischen Urkunden ergibt sich auch, daß Kirchenvermögen und Armenpflege in guten Händen waren. Ausdrücklich wird berichtet, daß W. in uneigennütziger Weise sich in Geldsachen gezeigt habe, indem er das Beichtgeld, wie auch ein ihm von dem Kurfürsten aufgezwungenes Geldgeschenk den Armen zu theil werden ließ. Unter Zustimmung seines Superintendenten schaffte er den Exorcismus bei der Taufe ab. Bis zu seinem Tode, er starb am 10. Juni 1588, genoß er die Liebe seiner Gemeinde in hohem Grade. Sie setzte ihm in der Kirche ein stattliches Denkmal, das auf Beschluß des Kirchenvorstandes 1888 erneuert worden ist.

Dieser von der Gemeinde geliebte Geistliche hat sich nun nachträglich als radicaler Schwärmer herausgestellt. Merkwürdigerweise hat er dies in einer Zeit zu vertuschen gewußt, in der man in Kursachsen das unbedingte Festhalten am Bekenntniß für die erste, an einen Geistlichen zu stellende Forderung ansah. Allerdings waren schon zu seinen Lebzeiten Bedenken gegen seine Rechtgläubigkeit geäußert worden. Bereits 1572 scheint er in Verdacht wegen unreiner Lehre gekommen zu sein. […] Allerdings findet sich, als W. wegen Krankheit 1581 nicht examinirt worden war, die Bemerkung in den Synodalacten: »Dieser sol suspect sein des Calvinismi halben«. Aber in den nächsten Jahren wurde trotz des üblichen strengen Colloquiums kein Bedenken über unreine Lehre laut. […] Wenn trotz der breiten Kluft, die zwischen der in dem Concordienbuche gesetzmäßig abgeschlossenen Lehre und der Weltanschauung Weigel’s bestand, dieser bei den Oberbehörden keinen Anstoß bezüglich seiner Lehre erregte, so dürfte dies der Anpassung seiner Sprache an die Bibel und die Lutherischen Schriften, sowie seiner durch längere philosophische Studien auf der Universität Leipzig gepflegten dialektischen Gewandtheit zuzuschreiben sein. Dazu behielt er während seines Lebens seine Weltanschauung als Geheimlehre für sich. So blieb er unangefochten.

Dieser Zustand änderte sich, als Weigel’s Anhänger, die nicht die philosophische Schulung ihres Meisters besaßen, offener mit der Sprache herausgingen. Bei der Generalvisitation, die 1598 ihren Anfang nahm, wurde Weigel’s Nachfolger Biedermann irriger Lehre überführt, die auf Weigel’s Einfluß zurückging. […] Bei seiner Vertheidigung hatte er wenig Kenntniß der theologischen Fragen und Mangel an dialektischer Gewandtheit an den Tag gelegt. Er wurde trotz seiner Bitte um Geduld auf die Dorfpfarre Neckanitz versetzt.

Gleichzeitig waren auch Weigel’s Söhne Joachim und Nathanael, die sich in Annaberg aufhielten, im übrigen als seine, stille, sittsame, eingezogene Gesellen bezeichnet wurden, ihrer Arznei warteten und vielen Leuten dienten, wegen Verbreitung der Lehre ihres Vaters verdächtig geworden. Sie erklärten: 1. Der Katechismus Luther’s bedeuchte sie nicht in allem Gottes Wort und der Wahrheit gemäß; 2. Christus habe nicht Kain’s Fleisch, sondern ein himmlisches Fleisch an sich genommen; sei auch nicht unsers Geschlechts, sei in Mariens Leib nur mutiret worden; 3. die Seligkeit sei nicht an die äußerlichen Worte gebunden; 4. die Privatbeichte sei ärgerlich; es sei am besten, man bleibe bei der Bitte des Vaterunsers: Vergieb uns unsere Schuld u. s. w.; 5. Prediger verkündigen nur, aber Gott vollziehe die Vergebung der Sünde; 6. Sacramente seien nur Zeichen; 7. die Taufe bewirke nichts, sondern sei nur Zeichen für Gnade und Seligkeit; 8. das gesegnete Brot und der gesegnete Kelch sei zwar der Leib und das Blut Christi, aber nur den Gläubigen; 9. die Ungläubigen und Unmündigen empfingen nach Augustin’s Ausspruch nur »Panem Domini, sed non Panem Dominum«; sie führten zum Beweis Joh. 6 an, Christi Fleisch sei ein lebendig machendes Fleisch; 10. unser Fleisch werde nicht auferstehen, sondern ein anderer und neuer Leib. Sie hatten bereits ins dritte Jahr sich des Genusses des heiligen Abendmahls enthalten, weil sie nach der Novatianer Meinung neben andern Unwürdigen, Wucherern, Säufern, Gotteslästerern u. s. w. nicht communiciren wollten.
Da sie sich der Belehrung nicht unzugänglich zeigten, wurden sie milde behandelt. Ueberhaupt wurde auch diesmal der Frage keine weitere Bedeutung beigelegt. Erst auf Grund des Synodalberichts vom 18. August 1624 befahl der Kurfürst eine sofortige genaue Nachforschung nach den Weigel’schen Schriften an. Infolge dessen wurde der Pfarrer zu Zschopau angewiesen, die Rathspersonen, Lehrer und andere Leute über die Weigel’schen Schriften zu befragen und bezüglich verdächtiger Personen den Rath anzuhalten, ihre Bücher durch Abgeordnete zu durchsuchen, alle und jede Weigelianischen Läster-Charten wegzunehmen und aufs Rathhaus zu schaffen. Ueber den Erfolg der angeordneten Maßregel ist nichts bekannt.

Doch stand die Vernichtung der Schriften nicht mehr in der Gewalt der sächsischen Censurbehörden, da jene außerhalb des Kurfürstenthums Sachsen Verbreitung durch den Druck gefunden hatten. In Halle war bei Joachim Krusicke seit 1609 eine Reihe von Büchern sauber hergestellt worden; seit 1618 erschienen andere Pseudonym in Neustadt (Magdeburg oder Halle?). Einen neuen Aufschwung nahm die Verbreitung der Schriften am Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts von Amsterdam und Frankfurt a. M. aus. […]

Werke von oder mit Valentin Weigel:


edition

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Valentin Weigel: Sämtliche Schriften. Neue Edition

Edited by Horst Pfefferl.
1996ff
Cloth-bound
ISBN 978-3-7728-1839-4

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