Karl Leonhard Reinhold
Philosoph,
* 26.10.1757 Wien,
† 10.4.1823 Kiel [...] (katholisch, seit 1784 evangelisch)
Nach dem Besuch des Gymnasiums in Wien trat R. dort im Spätherbst 1772 als Novize in das Jesuitenkolleg St. Anna ein. Nach der Aufhebung des Ordens wechselte er 1773 zum Barnabitenorden und besuchte dessen Kollegs in Mistelbach (St. Martin) und Wien (St. Michael), wo er nach seiner Priesterweihe (Wien 1780) Kirchengeschichte, Mathematik und Philosophie lehrte.
Seit 1782 unterstützte R. die josephinischen Reformbestrebungen durch Rezensionen in der Wiener »Realzeitung«; 1783 wurde er Illuminat in der Freimaurerloge »Zur wahren Eintracht«. Warum R. Anhänger der Aufklärung wurde, ist ebenso ungewiß wie die Gründe für seine Flucht nach Leipzig im Nov. 1783. Wahrscheinlich gab eine durch das phil. Studium herbeigeführte religiöse Krise den Ausschlag. Im Mai 1784 reiste er nach Weimar zu Christoph Martin Wieland, zu dem er eine lebenslange Freundschaft entwickelte, und wurde kurz nach seiner Ankunft – im Hause Herders – Protestant. Noch 1784 begann R. in Wielands »Der Teutsche Merkur« zu veröffentlichen, wenig später wurde er Mitherausgeber dieser Zeitschrift und übernahm die »Allgemeine Damenbibliothek«.
1785 begann R., Kant zu studieren. 1786/87 erschienen acht »Briefe über die Kantische Philosophie« (2 Bde., 21790/92, Neudr. 1923) in »Der Teutsche Merkur«, die großes öffentliches Interesse an der bisher wenig bekannten kritischen Philosophie Kants weckten. Auf Grund dieser »Briefe« sowie eines uneingeschränkt positiven Gutachtens von Herder wurde R. 1787 zum ao. Professor, 1791 zum o. Professor für Philosophie an der Univ. Jena ernannt. Die nächsten Jahre brachten großen Ruhm. R.s Schriften, die hauptsächlich der kritischen Philosophie systematische Form zu geben suchten und dadurch eine »Elementarphilosophie« entwickelten, wurden denen Kants zur Seite gestellt (Versuch e. Theorie d. menschl. Vorstellungsvermögens, 1789, Nachdr. 1963). Durch seinen Schwiegervater beraten, wurde R. zum erfolgreichen Lehrer mit etwa 600 Hörern – drei Viertel der damaligen Studentenzahl – in drei Kollegien in seinem letzten Semester in Jena.
1794 nahm er eine durch seinen Freund, den Dichter Jens Baggesen (1764–1826), vermittelte besser dotierte Professur an der Univ. Kiel an. Dieser Umzug brachte R. in die Nähe seines Freundes Friedrich Heinrich Jacobi (1743–1819). In den Augen seiner Zeitgenossen verblaßte nun sein philosophisches Ansehen, nachdem R. sich von der dominanten Transzendentalphilosophie, deren Entwicklungslinie von Kant zu Hegel er zuerst konzipiert hatte, abwandte und sie nun als seinen religiösen und philosophischen Erfahrungen unangemessen wertete. Ein damit verbundener Streit mit Schelling, in den sich Hegel zu Gunsten seines Freundes Schelling einmischte, R.s Versuch, dem absoluten Idealismus den logischen Realismus von Christoph Gottfried Bardili (1761–1808) entgegenzusetzen und endlich sein von Herder, Jacobi und verschiedenen Engländern (Thomas Reid, Dugald Steward, James Harris) beeinflußtes Interesse für Sprachphilosophie trugen zu seiner Isolierung bei. R.s letzte Arbeiten sind hauptsächlich der Sprachphilosophie gewidmet und zeigen Einsichten, die heute mit Gottlob Frege und Ludwig Wittgenstein verbunden werden (Das menschl. Erkenntnißvermögen aus d. Gesichtspunkte d. durch d. Wortsprache vermittelten Zusammenhangs zw. d. Sinnlichkeit u. d. Denkvermögen, 1816). Sein letztes Werk, »Die alte Frage: Was ist die Wahrheit? […]« (1820), ist eine auf diesen Einsichten fußende Grundlegung eines neuen philosophischen Systems, mittels dessen er lebenslange »Ahnungen« zu Moralität, Religion und Philosophie zu begründen suchte.
In seinen über 150 Büchern und Aufsätzen behandelte R. nicht nur traditionelle philosophische Themen. Der Sinn der Aufklärung und des Freimaurertums, die franz. Revolution, Protestantismus und Katholizismus, Duelle, Gedichte, Standesunterschiede, der Zeitgeist und Armenanstalten werden u. a. thematisiert. Seine philosophischen Arbeiten erhielten erstaunliches Lob von menschlich und philosophisch verschiedenen Zeitgenossen wie Baggesen, Fichte, Garve, Herder, Jacobi, Kant, Maimon, Schelling, Schopenhauer und Wieland. Nachdem R. in der von Neukantianern und Neohegelianern dominierten philosophischen Geschichtsschreibung lange Zeit zu den weitgehend Vergessenen zählte, ist das Interesse an seiner Person als philosophiegeschichtlich zentraler Figur seiner Zeit als auch an seinen Thesen seit einiger Zeit neu erwacht.
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