Friedrich Wilhelm Joseph Schelling
Nach dem Besuch der Lateinschule in Nürtingen (seit 1785) und des Höheren Seminars in Bebenhausen (seit 1787) trat S. 1790 mit Sondergenehmigung vorzeitig in das Tübinger Stift ein und studierte bis 1792 Philosophie, danach Theologie. Im Anschluss an das Konsistorialexamen 1795 war er in Stuttgart Hofmeister der Barone Riedesel, die er im März 1796 an die Univ. Leipzig begleitete, wo er sich intensiv mit den Naturwissenschaften beschäftigte. Im Herbst 1798 machte er in Dresden Bekanntschaft mit dem Kreis um die Brüder Schlegel (Novalis, Schleiermacher, Diederich), im Oktober trat S. auf Betreiben Goethes eine Stellung als ao. Professor der Philosophie in Jena an. Hier verkehrte er u. a. mit Schiller, Fichte und Johann Wilhelm Ritter, seit 1800 auch mit seinem Tübinger Studienfreund Hegel, mit dem er 1802/03 das »Kritische Journal der Philosophie« (2 Bde.) herausgab. 1803 folgte S. einem Ruf als o. Professor an die Univ. Würzburg, 1806 wechselte er als o. Mitglied an die Akademie der Wissenschaften in München und wurde hier im Folgejahr zum Generalsekretär der neugegründeten Akademie der Bildenden Künste berufen (Rücktritt 1823). 1810 hielt sich S. zu Privatvorlesungen in Stuttgart auf, 1812 folgte die scharfe Auseinandersetzung mit Friedrich Heinrich Jacobi, der ihm atheistischen Spinozismus vorwarf. Auf eigenen Wunsch 1820 an der Akademie der Wissenschaften beurlaubt, versah S. seitdem eine Honorarprofessur in Erlangen, wo er u. a. vor August v. Platen, Friedrich Julius Stahl und Arnold Ruge Vorlesungen über Philosophie als Wissenschaft, Philosophie der Mythologie, Geschichte der neueren Philosophie hielt und mit Joseph Görres verkehrte. 1827 wurde er o. Professor der Philosophie in München und zugleich Vorstand der Akademie der Wissenschaften sowie Generalkonservator der staatlichen wissenschaftlichen Sammlungen. In dieser Zeit wirkte S. an der Entwicklung des baver. Schulplans und der Studienordnung der Philosophischen Fakultät mit und war seit 1835 Lehrer des Kronprinzen, des späteren König Maximilian II. 1841 folgte er einem Ruf an die Univ. Berlin, wo Arnold Ruge, Michael Bakunin, Friedrich Engels, Sören Kierkegaard, Henrik Steffens und Jacob Burckhardt zu seinen Hörern zählten. 1846 beendete er seine öffentliche Vorlesungstätigkeit und hielt bis 1852 noch gelegentlich Vorträge an der Akademie der Wissenschaften.
Schon während seines Studiums beschäftigte sich S. intensiv mit Kant, Platon und der Gnosis, die sein Denken prägten. Früh entwickelte er Vorstellungen vom Ganzen der Geschichte als einer Vernunftgeschichte, vom Ganzen des natürlichen, ebenso lebendigen wie materiellen Kosmos sowie vom Ganzen der geschichtlichen und natürlichen Welt als eines Verhältnisses zu Gott, der markionitisch-spekulativ der unbekannte und kommende Gott ist.
In seinem Frühwerk 1794-1800, das sich sogleich führend in den Diskurs der Kantrezeption (Reinhold, Maimon, Jacobi, Fichte) einfügte, schuf S. mit der Trennung von Transzendentalphilosophie und Naturphilosophie (später Gesch.philos.) das Grundsystem seiner Philosophie, welches er in den späteren Epochen seines Denkens – der Identitätsphilosophie (1801–09), der Freiheitsphilosophie (1809–25) und der Geschichtsphilosophie (1826–54) – unter neugewonnenen Problem- und Themenstellungen vertiefte und erweiterte, an dem er aber prinzipiell festhielt. S. verfolgte wie Fichte die Einsicht, dass die kantische transzendentale Legitimation von Erkenntnis aus einer Urform des Erkennens begründet werden muss (Ueber d. Möglichkeit e. Form d. Philos. überhaupt, 1794). Sie ist vorauszusetzen, um aus ihr die formalen Bestimmungen von Anschauung und Verstand abzuleiten, mit denen die transzendentale Erkenntnisbegründung arbeitet. Das empirische, erkennende Ich steht unter der Voraussetzung eines unbedingten, absoluten Ich, als dessen Wirklichkeit es ist. S.s Grundgedanke lässt sich als Spinozismus der Subjektivität bezeichnen. Mit der Insistenz auf Freiheit und Unbedingtheit sowie auf Einheit und Überwindung der Gegensätze drückt er die Grundtendenz seiner Zeit aus. Aus diesem Grundgedanken ergeben sich Struktur und Problematik seines Denkens: S. fasst Wirklichkeit zum einen platonisch als »ideale« Wirklichkeit des erkennenden, dann v. a. geschichtlich handelnden und künstlerisch hervorbringenden Subjekts; zum anderen ist sie »reale« Wirklichkeit der objektiven, natürlichen Welt.
Die Transzendentalphilosophie (Vom Ich als Princip d. Philos., 1795; System d. transcendentalen Idealismus, 1800) ist zunächst Geschichte des Selbstbewußtseins; sie entwickelt Anschauungs- und Verstandesformen des bewußten, empirischen Ich und entwirft die Geschichte des empirischen, gesellschaftlichen Ich als Annäherung an das Unbedingte. Mit der Naturphilosophie (Ideen zu e. Philos. d. Natur, 1797; Von d. Weltseele, 1798; Erster Entwurf e. Systems d. Naturphilos., 1799), die in S.s Konzeption ebenfalls transzendentale Philosophie ist, geht er einen in der Philosophiegeschichte singulären Weg, der aus dem Ansatz einer ursprünglichen Indifferenz von Subjekt und Objekt entspringt. Naturphilosophie ist nach S. kein Gegenentwurf zur Naturwissenschaft, sondern steht unter dem Eindruck zeitgenössischer Naturerkenntnisse (u. a. Sauerstoffchemie, Elektrizität, Magnetismus, Galvanismus), die sie im Bestreben, das Ganze der Natur aufzufassen, umfassend verarbeitet und darstellt.
Die Naturphilosophie wurde von den Zeitgenossen (u. a. Goethe, Novalis, Arnim, Ritter, Steffens, Görres, Eschenmayer) intensiv rezipiert; sie gibt einem sich seit dem Ende des 18. Jh. verändernden Verständnis der Natur als eines lebendigen und umfassenden Ganzen einen genauen und prinzipiell fundierten Ausdruck. Die positivistische Kritik des 19. Jh. an der »romantischen Naturphilosophie« (u. a. Liebig, Dubois-Reymond) nimmt die neuere Wissenschaftsgeschichte weitgehend zurück, indem sie Kontinuitäten zwischen den naturphilosophischen Konstruktionen und der naturwissenschaftlichen Erkenntnis sieht sowie die Natur unter dem Gesichtspunkt von Leben und Selbstorganisation neu zur Sprache bringt.
Die auf die frühe Phase systematischer Entwürfe seit 1801 folgende Hinwendung S.s zu einer Identitätsphilosophie ist bestimmt durch die Frage nach dem Grund der Existenz des bewussten Ich einerseits und nach dem Grund der Existenz des unbewussten Ich, d. h. der Materie, andererseits. 1801 vertiefte S. in »Darstellung meines Systems der Philosophie« seinen Ansatz, indem er eine absolute Identität vor aller Unterscheidung von Subjekt und Objekt setzt und die Philosophie als Wissenschaft des Absoluten versteht, deren reale Entsprechung die Kunst als dessen Darstellung ist. In »Philosophie und Religion« (1804) griff er auf eine theosophisch-gnostische Sprache zurück, um die Abkunft des Endlichen, d. h. der Existenz darzustellen. Das Absolute, Göttliche erkennt sich in einem ursprünglichen Akt; es erzeugt sich als Gegenbild, das nun auch selbst sein will und abfällt in eine endliche Existenz, in der es zu einem leidenden Gott wird.
Die »Freiheitsschrift« (Phil. Unterss. über d. Wesen d. menschl. Freiheit, 1809) leitete eine neue Phase seiner »Freiheitsphilosophie« ein. Sie ist als Antwort auf Hegels »Phänomenologie des Geistes« (1807) zu lesen und dürfte – neben dem »System« von 1800 – S.s wirkmächtigste Schrift sein; sie überführt die Transzendentalphilosophie in eine nachidealistische, anthropologisch orientierte Philosophie. Später verfolgte S. den hierin gefassten Gedanken in dem großen Projekt »Die Weltalter« (1811-15) weiter, das aber Torso blieb.
In seiner letzten Schaffensphase kehrte S. zu dem frühen Modell einer zweiseitig geführten – einerseits über das Subjektive, andererseits über das Objektive gehenden – Philosophie zurück. Die eine entwickelte er unter wechselnden Titeln als »negative Philosophie«, also in der Form einer systematisch angelegten Geschichte der Philosophie als Geschichte der Subjektivität bzw. Geschichte des Begriffs (deren Anfang in d. Mythol. als eigener Aussageform besteht). Die andere entwickelte er unter dem Titel »Philosophie der Offenbarung«; sie bedeutet Seinsgeschichte.
S. gehört zu den bedeutendsten dt.sprachigen Philosophen. Mit Fichte und Hegel begründet er den dt. Idealismus als eigene, historisch wie systematisch bedeutende Epoche der Philosophiegeschichte, die im Ausgang von Kants Kritik eine neue Metaphysik entwarf. Er wirkte nicht schulbildend, übte aber bedeutenden Einfluss aus. Hinsichtlich der Naturphilosophie sind u. a. zu nennen J. W. Ritter, F. v. Baader, H. Steffens, L. Oken und K. F. Burdach. S.s Philosophie der Kunst wurde ebenso aufgenommen wie kritisiert von F. Ast, K. W. F. Solger und M. v. Deutinger. Wesentlich angeregt von S.s Begrifflichkeit der Natur, Kunst und des Absoluten wurden S. T. Coleridge und W. Wordsworth. Nennenswerte Rezeption erfuhr sein Denkens auch – durch Hörer vermittelt – in Polen, Rußland und Ungarn, über den »Krausismo« in der spanischsprachigen Welt und in Skandinavien (Brüder Oersted, A. Oehlenschläger, N. F. S. Grundtvig). Die vom späten S. zum Thema gemachte Unvordenklichkeit der Existenz wirkt über Kierkegaard in die neuere Philosophie (M. Heidegger, K. Jaspers, W. Schulz) und Theologie (P. Tillich, H. U. v. Balthasar, W. Kasper). Das frühe, naturphilosophische und das theologische Denken S.s sind als Entwürfe von Selbstorganisation und Anthropologie für ein emanzipatorisches Denken bedeutsam geworden (a. a. bei E. Bloch u. J. Habermas). In jüngster Zeit wird S. auch als Philosoph des Unbewussten zur Sprache gebracht (u. a. S. Žižek) und wirkt in eine ganzheitliche und ökologische Auffassung der Natur und des Menschen hinein.
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