Philipp Melanchthon

M. wuchs als ältester Sohn in einer wohlhabenden bürgerlichen Familie in Bretten auf. [...] Am 13.10.1509 wurde M. in Heidelberg immatrikuliert. Er wohnte bei Professor Pallas Spangel [...]. Als Spangel gestorben war, ging er 1512 nach Tübingen, um Reuchlin näher zu sein. Von seinen Lehrern nennt er außer Stöffler und Stadian gelegentlich die Theologen Lemp und Steinbach. Er beschäftigte sich nun mit den Schriften des Erasmus von Rotterdam, die ihm die humanistische Bildungswelt weiter erschlossen. 1514 wurde er Magister und lehrte seitdem in der Realisten-Burse Rhetorik und Dialektik.[...] Reuchlin erhielt damals von Kurfürst Friedrich dem Weisen von Sachsen die Anfrage, ob er ihm für seine Universität einen Lehrer des Griechischen empfehlen könne. Dieser wies auf M. hin [...] Über Augsburg, wo er sich dem Kurfürsten vorstellte, Nürnberg und Leipzig ritt M. nach Wittenberg, das ihm für 42 Jahre Heimat werden sollte. [...] Das von ihm entwickelte Programm erinnerte an Erasmus und zeigte ein hohes Niveau. Luther war beeindruckt und erblickte in dem »kleinen Griechen« den David, der gegen den scholastischen Goliath anging.[...] Als er sich im Oktober 1518 vor Kardinal Cajetan verantworten mußte, setzte er M. zu seinem Stellvertreter ein, der sein Werk fortsetzen sollte, falls er nicht wiederkehrte. Dadurch ergab es sich, daß M. von Anfang an außer Vorlesungen über klassische Autoren auch solche über biblische Schriften hielt. [...] Diese ersten Jahre brachten es mit sich, daß aus dem Humanisten M. zusehends der Theologe und Kirchenmann wurde. [...] In den Jahren des Durchbruchs und der reformatorischen Entscheidungen begann M. auf der Grundlage seiner Römerbrief-Vorlesung eine Zusammenfassung der reformatorischen Lehre zu schreiben, die er »Loci communes« (Hauptbegriffe) nannte. Diese erste ev. Dogmatik [...] erschien im Dezember 1521. [...] M. war in den ersten Auflagen im Wesentlichen der Auffassung Luthers gefolgt und hatte die humanistischen Gedanken kaum anklingen lassen. Das sollte später anders werden, als er eigene Wege beschritt. [...] Als sich der Gegensatz zwischen Erasmus und Luther zuspitzte, konnte M. seine humanistische Herkunft nicht vergessen. Er bat Erasmus, den Streit nicht zu beginnen. Doch Erasmus konnte nicht mehr zurück, da er sich dazu verpflichtet hatte. Zudem ahnte er nicht, daß dieser Streit so weitgehende Folgen haben würde. M. hielt in dieser Zeit die Verbindung zu ihm aufrecht. [...]

Außer den theologischen Problemen bedrängten ihn in der schlimmen Zeit um 1524/25 die Nöte des Bauernkrieges. Sein alter Landesherr, der Kurfürst von der Pfalz, rief ihn zu Hilfe; bei den Bauern stand er in so hohem Ansehen, daß sie ihn als Schiedsrichter vorschlugen. M. willigte nicht ein, er schrieb eine beschwichtigende Schrift, die seine Obrigkeitstreue und konservative Art hervortreten ließ. [...]

Als die Ruhe im Lande hergestellt war und die schon lange fällige Visitation in Kursachsen durchgeführt wurde, gehörte M. zur Visitationskommission. Aufgrund der ersten praktischen Erfahrungen entwarf er die Grundsätze für diese Arbeit in seinem »Unterricht der Visitatoren«[...]. M. sah die Belehrung des Volkes als dringende Aufgabe an. Daher befaßte er sich in dieser Zeit erneut mit Fragen des Unterrichts und der Bearbeitung des Katechismus. Als weitere Aufgabe kam auf ihn die lehrmäßige Zusammenfassung evangelischer Bekenntnisse [...] zu. [...] Daneben galt er als der gegebene Mann, wenn es sich um Schulfragen handelte. [...] 10 Jahre lang unterhielt er eine Privatschule, in der er junge Studenten vorbereitete und begabte Schüler förderte. [...] Ihm fiel auch die Reform der Universitäten zu [...] Überall betonte er die Würde der Schule und ihre Bedeutung für den Staat.

M. behielt zeitlebens seine Stellung in der artistischen Fakultät, seit 1535 war er auch Mitglied der theologischen. In Vorlesungen behandelte er die aristotelische Philosophie. [...]. Er beschäftigte sich vor allem mit dessen Physik, Ethik und Politik. Unter Physik verstand M. die gesamte Kenntnis der Natur unter Einbeziehung des Menschen. Später gab er seine Anthropologie unter dem Titel ›De anima‹ gesondert heraus. [...]. Nicht weniger anregend als »De anima« waren M.s ethischen Fragen gewidmete Schriften. Insbesondere beschäftigte ihn der Unterschied zwischen philosophischer und theologischer Ethik. [...] Mehrfach überarbeitete M. auch seine Dialektik, die die Logik zum Gegenstand hat. [...]

Mit 32 Jahren betrat M. die politische Bühne. Er begleitete Kurfürsten Johann den Beständigen nach Speyer zum »Protestationsreichstag«, nahm an den Besprechungen teil und verständigte sich mit Philipp von Hessen über die Einigung der ev. Stände. Beim Marburger Religionsgespräch am 1.10.1529 war M. neben Luther der Wortführer der Wittenberger und disputierte mit Zwingli. Seitdem fehlte er bei fast keinem Religionsgespräch.

Als Karl V. im Januar 1530 den Reichstag nach Augsburg ausschrieb, zog der sächs. Kurfürst M. zu den vorbereitenden Arbeiten heran. [Er erhielt] den Auftrag, die ev. Auffassung seines Landesherrn ausführlich darzulegen und zugleich eine Antwort auf Ecks 404 Artikel zu geben. An dieser Grundschrift, der »Confessio Augustana« (CA), arbeitete er unentwegt drei Monate lang. [...] Am 25.6.1530 wurde sie in deutscher Übersetzung vor Kaiser und Reich verlesen und am 3.8.1530 von den kath. Vertretern in der Confutatio widerlegt. [...] Nun begann M. gegen die Confutatio der Altgläubigen seine »Apologia Confessionis Augustanae« (AC) zu schreiben, bei der er keine Rücksichten mehr zu nehmen brauchte und manche Klarstellungen bringen konnte. CA und AC wurden die Grundschriften des Protestantismus, die über Jahrhunderte in Geltung blieben.[...] 1539 hatte er in seiner Schrift ›De ecclesia et autoritate verbi Dei‹ seine Position deutlich markiert, konnte sie aber angesichts der politischen Ereignisse in dieser Unbedingtheit nicht aufrechterhalten. Als die Gegensätze sich schon erheblich verschärft hatten, schrieb M., der auf Einladung des Erzbischofs Hermann von Wied nach Bonn und Köln gereist war, fünf Kapitel der für die Kölner Reformation bestimmten Grundordnung ›Das einfältige Bedencken‹ (1543). Über die in diesem Buch von M. vertretene Abendmahlslehre war Luther verstimmt, doch vermied er es, zu einem Zeitpunkt, an dem die Evangelischen Stände sich im Verteidigungszustand befanden, einen inneren Gegensatz aufbrechen zu lassen. Als die Wittenberger 1544 aufgefordert wurden, ihr äußerstes Angebot für den Kaiser zu formulieren, war es wieder M., der die Reformatio Wittenbergica in fünf Punkten formulierte.

Als Luther bald darauf starb und M. ihm die lat. Gedächtnisrede bei der Beerdigung gehalten hatte, mußte er auch dessen Aufgaben weitgehend übernehmen. Ihm fehlte freilich die Autorität Luthers.[...]Dazu kam, daß für den Protestantismus nunmehr schwere Zeiten anbrachen: das Eindringen der Jesuiten, das Tridentinische Konzil und der Schmalkaldische Krieg.

Tief betroffen davon, daß die Evangelischen weder politisch noch theologisch zusammenhalten konnten, schrieb sich M., den der Krieg zeitweilig aus Wittenberg vertrieb, den Kummer in den »Loci consolationis« vom Herzen. [...] Von den streng luth. Kreisen wurde er nun bekämpft, weil er das Einhalten äußerer Ordnungen für ethisch indifferent erklärte (adiaphoristischer Streit). Als sein Schüler Georg Maior die alte Frage der Mitwirkung des Menschen an seinem Heil aufnahm (synkretistischer Streit), machte Flacius Illyricus M. dafür verantwortlich. M. hatte aber auch andere theologische Gegner: Osiander, mit dem er sich Ende 1551 auseinandersetzte, oder die Renegaten Staphylus, Thamer u. a. Auf Verlangen des Kf. Moritz sollte M. 1552 zur Zweiten Periode des Konzils nach Trient reisen. Dafür arbeitete M. die ›Confessio Saxonica‹, auch ›Repetitio confessionis Augustanae‹ genannt, aus, die insgesamt von fast 3000 Theologen unterschrieben wurde. Die Unterbrechung des Konzils infolge der Erhebung des Kurfürsten gegen den Kaiser machte seine Weiterreise über Nürnberg hinaus unnötig.

Nach dem Passauer Vertrag und dem Augsburger Religionsfrieden konnte M. daran gehen, für die innere Sicherung der ev. Kirche einzutreten. Er schrieb das »Examen ordinandorum«, trat für die bekenntnismäßige Verpflichtung der Prediger ein und sorgte für die Abgrenzung von den Methoden der Inquisition. [...] Obwohl es viele Mißverständnisse zu beheben galt, lehnte er es ab, für alle ein Einigungsbekenntnis aufzusetzen. Am Federkrieg hatte er keine Lust, denn »das Disputieren muß ein Maß haben«. Als Kaiser Ferdinand bestimmte, daß in Worms ein letztes Religionsgespräch abzuhalten sei, mußte M. dort die ev. Seite vertreten. Angriffe der anwesenden Flacianer machten das Gespräch zunichte. Müde kam M. im Herbst 1557 nach Heidelberg, wo ihn die Universität feierte. Dort erfuhr er, daß inzwischen seine Frau in Wittenberg gestorben war. Er reagierte, wie Camerarius berichtet, mit den Worten: »Fahr wohl, bald folge ich dir nach«. Die wenigen Jahre, die ihm noch blieben, benutzte er zum Abschluß seines wissenschaftlichen Werkes.[...]

M.s Einfluß ist zu seinen Lebzeiten wie auch später groß gewesen. Er hat die Bildungswelt für die Reformation gewonnen und galt als wissenschaftliche, vor allem als pädagogische Autorität. Die Confessio Augustana ist die verfassungsmäßige Grundlage der meisten reformatorischen Kirchen geworden.

Werke von oder mit Philipp Melanchthon:


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Philipp Melanchthon: Melanchthons Briefwechsel

Critically annotated complete edition.

On behalf of the Heidelberg Academy of the Sciences edited by Christine Mundhenk.
1977ff
Ca. 46 Volumes
Cloth-bound
ISBN 978-3-7728-0631-5

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Philipp Melanchthon: Textedition

Founded by Heinz Scheible.
Ca. 30 Volumes
ISBN 978-3-7728-2416-6

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Philipp Melanchthon: Ethicae Doctrinae Elementa et Enarratio Libri quinti Ethicorum

Edited and introduced by Günter Frank.
EFN 1
2008
XLII, 271 p., 1 ill.
Cloth-bound
ISBN 978-3-7728-2372-5
Available
€ 198.–
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