Jahrbuch der Psychoanalyse: Band 40

Beiträge zur Geschichte der Psychoanalyse:

• Albrecht Hirschmüller (Hrsg.): Max Eitingon über Anna O. (Breuer) in psychoanalytischer Betrachtung
• Max Eitingon: Anna O. (Breuer) in psychoanalytischer Betrachtung. Wien X. 1909
  Abstract

  Einer Rekonstruktion des Herausgebers zufolge referierte Max Eitingon als Gast Sigmund Freuds in dessen als Seminar abgehaltener Vorlesung über Neurosenlehre und Psychotherapie 1909 über die Ur-Patientin Anna O., indem er ihre Erkrankung als Abwehrneuropsychose angsthysterischen Charakters interpretierte, Breuers Konzept einer Hypnoidhysterie verlassend. Eitingon betonte den Kompromißcharakter hysterischer Symptome und die Übertragung eines eine Graviditätsphantasie einschließenden libidinösen Konflikts vom Vater auf Breuer. Der Text war als internes Papier unterhalb der Veröffentlichungsebene konzipiert und befand sich in dem Dr. Erich Gumbel in Jerusalem überlassenen Nachlaß Max Eitingons.
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• Kurt R. Eissler: Eine Verzögerung in Freuds Gebrauch der kathartischen Methode
  Abstract

  Der Autor findet entgegen einer von Reicheneder vertretenen Sicht, die die Entwicklung Freuds als Psychologen als geradlinigen Fortschritt darstellt, auf dessen Weg zu einer neuen Technik eine Phase der Vernachlässigung des psychologischen Faktors und einer Unterschätzung des revolutionären Potentials der kathartischen Methode Josef Breuers, dessen Entdeckung und Erkenntnisse einen hervorragenden Platz in der Ideengeschichte einnehmen. Er vergleicht Freuds Entwicklung mit einer Zickzacklinie und sieht in ihr den Ausdruck eines für das Genie typischen dämonischen Elements. Zeitgenössische Quellen belegen die Verzögerung in Freuds Gebrauch der kathartischen Methode.
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• André Haynal: Freud und kein Ende ...
  Abstract

  Der Autor versucht, einige Themen aus Freuds Werk herauszuarbeiten, die einerseits mit Berlin in besonderer Beziehung stehen (wie die Ausstellung im Pergamon Museum, Freuds bei Adolf Baginsky begonnene Ausbildung in der Kinderheilkunde, oder Wilhelm Fließ und die Berliner Sexologen) und die andererseits für sein späteres zentrales Anliegen von besonderer Bedeutung sind (wie die Thematik der Kastration). Die Standpunkte Karl Abrahams in diesen Fragen werden ebenfalls hervorgehoben. Zudem dürften gewisse dieser Punkte noch heute als unerledigte Fragestellungen ein gewisses Störpotential in der Hinterlassenschaft der Freudschen Ideen haben ... Zwischen den Zeilen versucht der Autor auch zu zeigen, daß ein historisches Verständnis der Entstehung und Entwicklung der Psychoanalyse - die auch von Freud empfohlen wurde (Freud 1923 a, 211) - unsere Beziehung zur Theorie schöpferisch erneuern kann.
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• Erika Danneberg: Psychoanalyse gegen den Strich. Chile – Nicaragua – Cuba
  Abstract

  Die Autorin stellt ihre eigenen Erfahrungen als Psychoanalytikerin in Chile, Nicaragua und Cuba und die Erfahrungen anderer, die sich der physischen Vernichtung durch den Hitler-Faschismus nur auf dem Wege der Flucht nach Südamerika entziehen konnten, vor allem Maria Langers dar und plädiert für einen Beitrag »Linker Psychoanalyse«, einer »Analyse gegen den Strich« nicht nur zu einem Bestandteil lateinamerikanischer Identität, sondern zu einer Neudefinition psychoanalytischer Identität, derzufolge entsprechend einem Umkehrschluß der Grundregel die Bereitschaft, alles zu hören, was Analysanden in den Sinn kommt, auch wenn es nicht nur den Menschen auf der Couch, sondern den hinter der Couch bedroht, die Basis des Arbeitsbündnisses bildet. Sie hält die Vermengung von analytischer und politischer Abstinenz für unzulässig und erinnert an die Beschädigung der Psychoanalyse durch den Ausschluß politischer Realität aus dem Schutzraum der Analyse in den dreißiger Jahren.
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Theoretische Beiträge:

• Haydée Faimberg: Die narzißtische Dimension der ödipalen Konfiguration
  Abstract

  Im Verlauf des Durcharbeitens des ödipalen Konflikts erreichen wir in jeder Analyse unausweichlich den Augenblick des Kampfes gegen narzißtische Figuren. In dieser Situation spürt das Subjekt, daß es entweder das Objekt vollkommen besitzt oder von ihm gänzlich ausgeschlossen ist. Ein Konflikt auf ödipaler Grundlage kann daher in einer narzißtischen Modalität behandelt werden. Dieser Gesichtspunkt ist in der analytischen Literatur kaum behandelt worden. Die Uberwindung dieses narzißtischen Dilemmas konstituiert einen wesentlichen Schritt in der Analyse des ödipalen Konfliktes. Ich benutze das Konzept des Narzißmus nicht in Bezug zum Konzept des Selbst. Ich habe das Konzept des Narzißmus als einen Funktionsmodus des Subjekts, als eine besondere Art der Besetzung angesehen. Der Narzißmus wird hier in Begriffen eines intrapsychischen Konfliktes (eines oft vernachlässigten Aspektes), der an die Entstehungsgeschichte der Psyche des Patienten gebunden ist, studiert. Die narzißtische Konfiguration ist insofern widersprüchlich, als das Subjekt, während es seine Selbstgenügsamkeit zum Ausdruck bringt, gleichzeitig des Anderen zur Bestätigung dafür bedarf, daß er in der Tat bewundernswert selbstgenügsam ist. Diese Arbeit bietet Überlegungen über den theoretischen und klinischen Kontext, in dem dieser Widerspruch zum Ausdruck kommt. Sie stellt außerdem eine Verbindung zwischen diesem Paradoxon und den ödipalen Konflikten her. Indem ich sowohl der Vorstellung einer ödipalen Konfiguration, die einen größeren Bereich ödipaler Konflikte abdeckt, den Vorzug gebe, als auch die narzißtische Dimension dieser Konfiguration in die Betrachtung mit einbeziehe, biete ich eine konzeptuelle Matrix an, die die Verbindung zwischen dem narzißtischen Funktionsmodus des Patienten und seinem Ödipuskomplex herstellt. Zur Illustrierung dieser Ideen stelle ich ein klinisches Beispiel vor.
• Michel de M’Uzan: Gegenübertragung und paradoxes System
  Abstract

  Der Autor beschreibt im Sinne einer extensiven Definition der Gegenübertragung, die alles einschließt, was von der Person des Analytikers während der Kur zum Zuge kommt, das Phänomen des unerwarteten Auftauchens befremdlicher, peinlicher Vorstellungen ohne ersichtlichen Zusammenhang mit dem Material der Stunde, als hätte der Analytiker sich der Situation entzogen. Während er den Eindruck hat, auszuklinken, nicht mehr derselbe zu sein, drängt sich ein präzises Bild auf und es kommt ihm ein merkwürdiger Gedanke in den Sinn, dessen Mitteilung als Deutung ein wichtiges Bruchstück der unbewußten Welt des Analysanden sowohl ankündigt als auch ausspricht. Der psychische Apparat des Analytikers ist buchstäblich zu dem des Analysanden geworden. Vermittels einer Vorstellung im psychischen Raum des Analytikers ergreift der Analysand Besitz vom Geist des Analytikers, überflutet ihn. Der Analytiker scheint sich als Individualität zurückgezogen zu haben, um nur noch funktionale Fähigkeiten zurückzulassen. Der Autor nennt diese Phänomene, die keine individuelle Reaktion auf die Übertragung des Patienten darstellen und keinem blinden Fleck des Analytikers entstammen, aber von erstaunlicher Polymorphie und Antizipationskraft sind, ja prophetischen Charakter haben, paradoxes Denken und ordnet das Paradoxe einer Zwischenposition an den Randbezirken des Unbewußten und Vorbewußten zu. Die Aneignung des psychischen Apparats des Analytikers verfolgt keine zerstörerischen Absichten, sondern hängt mit dem Schicksal der narzißtischen Libido der anwesenden Protagonisten zusammen und führt in die Zeit der Herausbildung des Subjekts zurück. Die Vorstellung des Analysanden im psychischen Raum des Analytikers verhält sich einem biologischen Modell zufolge wie ein Trophoblast; dem Analytiker ist es nicht erlaubt, sie in ihrer Andersheit zu erkennen. Die Trauer um den Verlust des narzißtischen Objekts der Mutter ist eine zu bittere Erfahrung, um akzeptiert zu werden. Die Erfahrung hinterläßt einen funktionalen Rückstand und die Fähigkeit der narzißtischen Libido, sich zwischen der Vorstellung des Subjekts selbst und der seiner Liebesobjekte hin und her zu bewegen. Die dem paradoxen System entsprechenden Deutungen verleihen ausgeschlossenen Vorstellungen eine sprachliche Form und erschüttern einen erstarrten ökonomischen Status. Der Patient durchlebt einen Augenblick der Trauer und zweifelt an der Existenz des Analytikers, der einen Teil seiner Triebe mit sich genommen zu haben scheint, ehe sie jäh mobilisiert und introjizierend in Besitz genommen werden können. Das paradoxe System ermöglicht dank der Fähigkeit zu primärer Identifizierung und der Toleranz für Depersonalisationserfahrungen und ein Schweben der Identitätsunterscheidung zwischen Subjekt und Objekt ein tiefreichendes Verständnis des Patienten.
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• Heribert Knott: Das Konzept der Nachträglichkeit heute
  Abstract

  Nach einer ausführlichen Klärung des Begriffs wird die Notwendigkeit dafür dargestellt, daß Freud das Konzept der Nachträglichkeit gegen sein kausales Denkprinzip entwickelte und sich zunutze machte. Anschließend wird das Konzept der Nachträglichkeit weiterentwickelt; es kann als Hilfe für schwierige Behandlungssituationen dienen. Ein kasuistisches Beispiel verdeutlicht die Problematik und leitet über zu den neueren hirnphysiologischen Forschungen, die wesentliche Aspekte des Freudschen Modells vom menschlichen Gehirn, Denken und Erinnern ganz modern erscheinen lassen.
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Klinischer Beitrag:

• Ute Auhagen-Stephanos: Psychoanalytische Behandlung von Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch
  
  Abstract

  Sensibilisiert durch die jahrelange Beschäftigung mit den Verletzungen und der Verletzbarkeit steriler Frauen habe ich ihnen gegenüber eine Sicherheit gebende empathische Grundhaltung entwickelt. In einem Prozeß von negativen und positiven Übertragungsreaktionen erlebe ich vor allem diese Frauen in ihrer tiefen Deprivationsebene als einsame, von ihrer Mutter ausgestoßene Überlebende. Ihren unerfüllten Wunsch nach einem Kind verstehe ich als ihr Begehren, mit sich selbst schwanger zu sein, damit sie ihren Kinderteil, der so schwer traumatisiert und frustriert wurde, zur Welt bringen und durch die Identifikation mit mir mit mütterlicher Fürsorge bedenken können. In der Übertragung legen sie diesen Kinderteil in mich hinein, sie machen mich sozusagen in einem Gegenübertragungsenactment mit sich schwanger. Auf diese Weise können sie sich von der Hoffnungslosigkeit absetzen, immer wieder aufgegeben zu werden. Empfinden sie auf diese Weise ihre seelische Beziehung zu mir als garantiert, können sie es eher wagen, diese auch einem Kind zu garantieren.
  
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Beiträge zur angewandten Psychoanalyse:

• Christoph Ertle: Zur Psychoanalyse von Umweltzerstörung - Folgerungen für die Pädagogik
  Abstract

  Ausgehend von der Beobachtung anhaltender Destruktion der Städte in Kernbereichen und neuen Siedlungsflächen durch Phantasielosigkeit und Machtgier sucht Mitscherlich nach Motiven und deren Bedeutung. Die Stadt ist für ihn ein »Biotop«, der Psychoanalytiker wird zum »Biotop-Forscher«, die Psychoanalyse erhält die Funktion eines »verfeinerten Ordnungssystem«, das dazu dient, die sozialpsychologischen Auswirkungen »unwirtlicher Städte« zu untersuchen. Mit Untersuchungsgegenstand und Forschungsmethode greift Mitscherlich als Psychoanalytiker erstmals das brennende gesellschaftspolitische Thema »Wohnraum als Lebensraum« auf und führt es in die interdisziplinäre Diskussion ein. Doch nimmt nicht nur der Brückenschlag Psychoanalyse und Sozialpsychologie gefangen, sondern Diktion und Beispiele machen auch auf gemeinsame Themen mit der gegenwärtigen ökologischen Diskussion aufmerksam. Mitscherlichs grundlegende, weithin übersehene Arbeit »Zur Unwirtlichkeit unserer Städte«, eine Streitschrift, erreicht mit ihrem programmatischen Vorbehalt, nicht auf Lösungen zu drängen, im Sinne einer paradoxen Intervention das Gegenteil: sie liefert wertvolle Hinweise darauf, mit welchen Mitteln Veränderungen im Lebensganzen der Stadtbewohner angestoßen werden könnten. Und an dieser Nahtstelle skizziert Mitscherlich Umrisse einer Kulturtheorie, die den Autor zu weiterführenden Überlegungen veranlassen. Im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit wird versucht, den unterschiedlichen psychischen Mechanismen nachzugehen, die, in Gestalt abgewehrter Destruktion und getarnt als Werbung, ökologische Katastrophen erst möglich machen. Damit werden zugleich Umrisse einer Erziehung erkennbar, die sich im streitbaren Kontrast stellen zu Modellen einer verharmlosenden oder ungeklärt erregenden Pädagogik mit dem Ziel, Betroffenheit zu erzeugen. Doch auch die andere Tendenz hätte fatale Folgen, Wissensanhäufung als Aufklärung ohne emotionale Verknüpfung. Mitscherlichs Überlegung, weiterer Zerstörung sei unter der Voraussetzung Einhalt zu gebieten, daß es gelänge, auf ein »festeres Verhältnis von Einsicht und Leidenschaft« hinzuarbeiten, kann als Wegweisung für Unterrichtsdidaktik verstanden werden, die sich nach wie vor in dem Zwiespalt von Aufklärung und Emotionalisierung blockiert.
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• Gisela Greve / Konrad Hößler: »Nachmittag spielte ich Göthen über 2 Stunden vor ...«. Felix Mendelssohn und seine Väter
  Abstract

  Nach einer hellsichtigen Bemerkung von Hector Berlioz liebte Felix Mendelssohn die Toten etwas zu sehr. Diesem Phänomen, dem in der Musikgeschichte neuen Interesse an der Musik vorangegangener Epochen, wird nachgegangen anhand der Untersuchung von Mendelssohns Beziehungen zu einer Reihe idealisierter Großväter, neben seinem wirklichen Großvater Moses u. a. auch Goethe. Die Bedeutung dieser Großväter für Mendelssohns Persönlichkeit und ihre Spuren in seinem musikalischen Werk werden untersucht.
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